Leben und Sterben im Alten Testament

Zur Zeit bin ich an der Ausarbeitung von zwei Vorträgen zum Thema “Zur Hölle mit der Hölle?” Teil dieser Übersicht ist die Darstellung von Leben und Sterben im Alten Testament.  Ich folge hier den ausgezeichneten Darstellungen von Hans Walter Wolff. (Anthropologie des Alten Testamentes. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2010. S. 152-176.) Der Beitrag kann als pdf bezogen werden.

Sterben war „der Weg aller Welt“ (Jos 23,14; 1Kön 2,2). „Siehe, ich sterbe“, hob Jakob an und setzt hinzu: „Aber Gott wird mit euch sein und wird euch zurückbringen in das Land eurer Väter.“ (Gen 48,21) Als Davids neugeborener Sohn starb, meinte er: „Jetzt aber, da es tot ist, wozu sollte ich denn fasten? Kann ich es etwa noch zurückbringen? Ich gehe einmal zu ihm, aber es wird nicht zu mir zurückkehren.“ (2Sam 12,23) Von verschiedenen Männern Gottes wird gesagt, dass sie starben, alt und an Tagen satt (z. B. Abraham, Gen 25,8).

Der Tod ist „König jäher Schrecken“ (Hiob 18,14). Jesaja malt ein eindrückliches Bild der Totenwelt (Jes 14,9ff), die aufgeschreckt den grossen babylonischen König empfängt: „Der Scheol drunten ist in Bewegung deinetwegen, in Erwartung deiner Ankunft. Er stört deinetwegen die Schatten auf, alle Mächtigen der Erde, er lässt von ihren Thronen alle Könige der Nationen aufstehen. Sie alle beginnen und sagen zu dir: “Auch du bist kraftlos geworden wie wir, bist uns gleich!” In den Scheol hinabgestürzt ist deine Pracht und der Klang deiner Harfen. Maden sind unter dir zum Lager ausgebreitet, und Würmer sind deine Decke.“ (Jes 14,9-11)

Gott hatte seinem Volk alle Praktiken und Bräuche, die mit dem Tod zusammenhingen, strikte untersagt (Lev 19,27f+31; 20,6+27). Der Prophet Jesaja warnt vor den Totenbeschwörern: „Und wenn sie zu euch sagen: Befragt die Totengeister und die Wahrsagegeister, die da flüstern und murmeln!, so antwortet: Soll nicht ein Volk seinen Gott befragen? Soll es etwa für die Lebenden die Toten befragen?“ (Jes 8,19f). Der verzweifelte König Saul übertrat diese Gebote und ging zu einer Wahrsagerin. Diese holte den toten Samuel herauf – der ihm nur noch einmal mitteilte, was über Saul beschlossen war: „Die Frau antwortete Saul: Ich sehe einen Geist aus der Erde heraufsteigen. Er sagte zu ihr: Wie sieht er aus? Und sie antwortete: Ein alter Mann steigt herauf. Er ist in ein Oberkleid gehüllt. Da erkannte Saul, dass es Samuel war, und er neigte sich mit seinem Gesicht zur Erde und fiel nieder. Und Samuel sprach zu Saul: Warum hast du meine Ruhe gestört, dass du mich heraufkommen lässt?“ (1Sam 28,13-15)

Gott gibt Leben und bewahrt (Deut 30,15+19; Ps 64,2; 103,4; 133,3). Er macht tot und lebendig (1Sam 2,6; Deut 32,39). Denn er ist die Quelle des Lebens (Ps 36,8). Gott gebietet in jedem Einzelfall über das Sterben. Amos sagt: „Wenn sie in den Scheol einbrechen, wird meine Hand sie von dort holen. Und wenn sie in den Himmel hinaufsteigen, werde ich sie von dort herunterbringen.“ (Amos 9,2, vgl. 6,9f, auch Ps 139,8).

Äusserlich trifft Mensch und Tier das gleiche Geschick (Prediger 3,19; 9,2-4). Und der  Untergang ist Vernichtung, Schweigen, Vergessen, Finsternis (2Sam 12,23; Hiob 7,9f; 10,21f; Ps 94,17; 115,17). Doch gerade der Prediger, der mit Absicht die Perspektive „unter der Sonne“ einnimmt, rückt diese Perspektive am Ende des Buches meisterhaft zurecht: „Lasst uns die Hauptsumme aller Lehre hören: Fürchte Gott und halte seine Gebote; denn das gilt für alle Menschen. Denn Gott wird alle Werke vor Gericht bringen, alles, was verborgen ist, es sei gut oder böse.“ (Pred 12,13+14)

Der Tor, der nicht mit Gott rechnet, stirbt (siehe das ein-drück-liche Beispiel Nabals, 1Sam 25,37f). Asaph, der die Perspektive des Gottesfürchtigen der des Gottlosen gegenüberstellt, gewinnt erst vom Ende her die entscheidende Sicht: „Wie sind sie so plötzlich zum Entsetzen geworden! Sie haben ein Ende gefunden, sind umgekommen in Schrecken. Wie einen Traum nach dem Erwachen, so verachtest du, Herr, beim Aufstehen ihr Bild. Als mein Herz erbittert war und es mich in meinen Nieren stach, da war ich dumm und verstand nicht; wie ein Tier war ich bei dir. Doch ich bin stets bei dir. Du hast meine rechte Hand gefasst. Nach deinem Rat leitest du mich, und nachher nimmst du mich in Herrlichkeit auf. Wen habe ich im Himmel? Und außer dir habe ich an nichts Gefallen auf der Erde. Mag auch mein Leib und mein Herz vergehen – meines Herzens Fels und mein Teil ist Gott auf ewig. Denn siehe, es werden umkommen die, die sich von dir fernhalten. Du bringst zum Schweigen jeden, der dir die Treue bricht. Ich aber: Gott zu nahen ist mir gut. Ich habe meine Zuversicht auf den Herrn, HERRN, gesetzt, zu erzählen alle deine Taten.“ (Ps 73,19-28)

Auch der Gottesfürchtige gerät immer wieder an die Grenze des Todes: „Denn satt ist meine Seele vom Leiden, und mein Leben ist nahe dem Scheol. Ich bin gerechnet zu denen, die in die Grube hinabfahren. Ich bin wie ein Mann, der keine Kraft hat, unter die Toten hingestreckt, wie Erschlagene, die im Grab liegen, derer du nicht mehr gedenkst. Denn sie sind von deiner Hand abgeschnitten. Du hast mich in die tiefste Grube gelegt, in Finsternisse, in Tiefen. Auf mir liegt schwer dein Zorn, und mit allen deinen Wellen hast du mich niedergedrückt. // Meine Bekannten hast du von mir entfernt, hast mich ihnen zum Abscheu gemacht. Ich bin eingeschlossen und kann nicht herauskommen. Mein Auge verschmachtet vor Elend. Zu dir rufe ich, HERR, den ganzen Tag. Ich strecke meine Hände aus zu dir. Wirst du an den Toten Wunder tun? Oder werden die Gestorbenen aufstehen, dich preisen? // Wird von deiner Gnade erzählt werden im Grab, im Abgrund von deiner Treue? Werden in der Finsternis bekannt werden deine Wunder, und deine Gerechtigkeit im Land des Vergessens? Ich aber, HERR, schreie zu dir, und am Morgen möge dir mein Gebet begegnen. Warum, HERR, verwirfst du meine Seele, verbirgst du dein Angesicht vor mir? Elend bin ich und todkrank von Jugend auf. Ich trage deine Schrecken, bin verwirrt. Deine Zorngluten sind über mich hingegangen, deine Schrecknisse haben mich vernichtet. Sie umgeben mich wie Wasser den ganzen Tag, sie umringen mich allesamt. Du hast mir entfremdet Freund und Nachbarn. Meine Bekannten sind Finsternis.“ (Ps 88,4-19) Ähnliches berichtet der todkranke Hiskia (Jes 38,18f).

Doch es gibt auch neue Hoffnung. Hiob ist ein eindrückliches Beispiel: „Wenn ein Mann stirbt, wird er etwa wieder leben? – Alle Tage meines Dienstes wollte ich harren, bis meine Ablösung käme! Du würdest rufen, und ich würde dir antworten, nach dem Werk deiner Hände würdest du dich sehnen. Denn dann würdest du zwar meine Schritte zählen, aber gäbest nicht acht auf meine Sünde! Mein Verbrechen wäre versiegelt in einem Bündel, und du würdest meine Schuld zudecken.“ (Hiob 14,13-17)

Die Erkenntnis der Endlichkeit ist Anlass zur Änderung der Perspektive: „Du hast unsere Ungerechtigkeiten vor dich gestellt, unser verborgenes Tun vor das Licht deines Angesichts. Denn alle unsere Tage schwinden durch deinen Grimm. Wir bringen unsere Jahre zu wie einen Seufzer. Die Tage unserer Jahre sind siebzig Jahre, und, wenn in Kraft, achtzig Jahre, und ihr Stolz ist Mühe und Nichtigkeit, denn schnell eilt es vorüber, und wir fliegen dahin. Wer erkennt die Stärke deines Zorns und deines Grimms, wie es der Furcht vor dir entspricht? So lehre uns denn zählen unsere Tage, damit wir ein weises Herz erlangen!“ (Ps 90,8-12)

Die Vorstellung von Segen und Fluch, Gericht und Heil, endet mit dem Aufruf das Leben zu wählen (Deut 30,15+19). Gott ruft durch Amos: “Sucht mich und lebt!“ (Amos 5,4) Eine Auferstehung der Gerechten und der Ungerechten wird angedeutet: „Und viele von denen, die im Land des Staubes1 schlafen, werden aufwachen; die einen zu ewigem Leben und die anderen zur Schande, zu ewigem Abscheu.“ (Dan 12,2; vgl. Jes 26,19).

Es wird angekündigt, dass der Tod des Gottesknechtes viele zum Leben führen wird: „Doch dem HERRN gefiel es, ihn zu zerschlagen. Er hat ihn leiden lassen. Wenn er sein Leben als Schuldopfer eingesetzt hat, wird er Nachkommen sehen, er wird seine Tage verlängern. Und was dem HERRN gefällt, wird durch seine Hand gelingen. Um der Mühsal seiner Seele willen wird er Frucht sehen, er wird sich sättigen. Durch seine Erkenntnis wird der Gerechte, mein Knecht, den Vielen zur Gerechtigkeit verhelfen, und ihre Sünden wird er sich selbst aufladen.“ (Jes 53,10-11; vgl. Ps 22)