Nicht die Handlung allein, das Ziel ist entscheidend

Augustinus wurde mit folgendem Argument seitens seiner Gegner konfrontiert. Sie hielten ihm Beispiele von Gottlosen entgegen, von denen sie sagen, sie zeigten ihre Tugenden

in Fülle, in denen ohne Hilfe der Gnade nur das Gut der Natur ist, und allein auf die Kräfte angeborener Freiheit gestützt, erweisen sie sich immer wieder barmherzig, bescheiden, keusch und nüchtern. (Gegen Julian, IV,16,4)

Das beobachte ich auch: Nicht erlöste Menschen, die ein “besseres” Leben als bekennende Christen führen. Das führte die Pelagianer (die Gegner Augustins) zu einer Überschätzung der menschlichen Leistungsfähigkeit:

Der Ursprung sämtlicher Tugenden liegt im vernunftvergabten Geist, und alle Regungen, durch die wir mit ohne ohne Nutzen gut sind, liegen im grunde unseres Geistes, nämlich Klugheit, Gerechtigkeit, Mässigkeit, Taperkeit.

Augustinus gibt zu bedenken, dass dann Christus umsonst gestorben wäre, wenn unser Wille genügen würde, um zu ihm (und damit zu wahrem Glauben) zu kommen:

Käme Gerechtigkeit durch die Natur und den Willen, ‘dann ist Christus umsonst gestorben’. (IV,17,4)

Entscheidend sind nicht die äusseren Handlungen allein, sondern die Motive:

Tugenden sind von den Lastern nicht durch (äussere) pflichtgemässe Handlungen, sondern durch ihre Ziele zu unterschieden.  (IV,21,1)

Die wahren Tugenden dienen Gott in den Menschen, von dem sie den Menschen geschenkt werden. (IV,21,4)

 Augustinus bringt ein hilfreiches Beispiel:

Aber da bekannt ist, welch grosse Mühen und Schmerzen sich die Liebhaber des Geldes geduldig unterziehen, welcher Gelüste sie sich enthalten, sei es aus Gier, das Geld zu mehren, sei es auch Furcht, es zu verringern, mit welcher Schläue sie dem Gewinn nachjagen und klug Schaden vermeiden, wie sie meist fürchten, fremdes Eigentum zu plündern, und bisweilen ihnen entwendetes Eigentum geringachten, um nicht durch Klage auf Schadenersatz und gerichtliche Streitereien noch mehr zu verlieren… (IV,18,3)

Die logische Folge wäre, dass die Tugend

die Klugheit der Habgierigen (wäre), mit der sie neue Arten von Gewinnen ausdenken, und die Gerechtigkeit der Habgierigen, mit der sie zuweilen ihren Besitz aus Furcht vor grossen Schäden lieber geringachten als sich fremdes Gut aneignen, und die Mässigung der Habgierigen, mit der sie das Verlangen nach Wohlleben in Schranken halten, weil es kostspielig ist, und nur mit der notwendigen Nahrung und Bekleidung zufrieden sind… (IV,19,4)