Von dem einen, das unsere Seele nicht entbehren kann

So müssen wir nun gewiss sein, dass die Seele kann alle Dinge entbehren ausser dem Wort Gottes, und ohne das Wort Gottes ist ihr mit keinem Ding geholfen. Wenn sie aber das Wort Gottes hat, so bedarf sie auch keines anderes Dinges mehr, sondern sie hat in dem Wort Genüge, Speise, Freude, Friede, Licht, Verstand, Gerechtigkeit, Wahrheit, Weisheit, Freiheit und alles Gute überschwänglich. So lesen wir im Psalter, sonderlich im 119. Psalm, dass der Prophet nach nichts mehr schreit, denn nach dem Wort Gottes. Und in der Schrift wird es für die allergrösste Plage und Gottes Zorn gehalten, wenn er sein Wort von den Menschen nimmt, wiederum für keine grössere Gnade, als wenn er sein Wort hinsendet…

Fragest du aber, welches ist denn das Wort, das solch grosse Gnade gibt und wie soll ich’s gebrauchen? Antwort: Es ist nichts anderes als die Predigt, von Christo geschehen, wie sie das Evangelium enthält. Welche so beschaffen sein soll und ist, dass du hörest deinen Gott mit dir reden, wie all dein Leben und Werk nichts sind vor Gott, sondern du mit allem, das in dir ist, ewiglich verderben müssest.  … Auf dass du aber aus dir heraus und von dir los, das ist, aus deinem Verderben loskommen könntest, setzt er dir vor seinen lieben Sohn Jesum Christum und lässet dir durch sein lebendiges, tröstliches Wort sagen: Du sollst in denselben mit festem Glauben dich ergeben und frisch auf ihn vertrauen. Dann sollen dir um dieses Glaubens willen alle deine Sünden vergeben, all dein Verderben überwunden sein und du gerecht, wahrhaftig, im Frieden, fromme und alle Gebote erfüllt sein, von allen Dingen frei sein…

Martin Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, 5. Abschnitt. Reclam: Stuttgart 1995. (127)