Eine pralle Ladung (2): Nur zwei Wege (Psalm 1)

Persönliche Einführung: Was für eine Predigt! In knapp 90 Minuten geht Carson zuerst durch Psalm 1. Dann geht er der Frage nach, warum das Bild dort so schwarz-weiss gezeichnet wird. Er setzt die Frage zu verschiedenen biblischen Figuren in Beziehung, greift die gesellschaftliche Tendenz zur moralischen Uneindeutigkeit auf. Erläutert wird die biblische Position anhand des Hiob-Dramas und der Spannung im 1. Johannesbrief. Und das in einer Predigt. Ich hatte nachher das Gefühl, wirklich gesättigt zu sein.

Stellen wir uns zuerst die Frage: Wovon handelt dieser Psalm? Wie lässt er sich natürlich aufteilen? Was ist das Argument des Psalms?

Der erste Psalm bietet einen scharfen Kontrast zwischen Gerechtem und Gottlosem. Der letzte Vers fasst den Kontrast zusammen.

V. 1 negative Beschreibung der Gerechten; Perspektive: Verständnisrahmen des Ungerechten – wohl dem, der nicht so ist. Spurgeon – Mensch, der seinen Meister in Wertlosigkeit und den Doktor in der Verdammnis empfangen hat

V. 2 positive Beschreibung des Gerechten; hebräischer Parallelismus erwartet im Stil von “gesegnet ist der Mann, der in den Wegen der Gottesfürchtigen wandelt…”. Anstelle dieser Erwartung gibt der Autor nur ein positives Kriterium: Seine Freude und Lust ist am Gesetz des Herrn. Dieses Argument beantwortet alle Gegensätze von Vers 1. Wer Tag und Nacht über sein Gesetz nachsinnt, findet seinen Rat von Gott, dessen Denken sein Gesetz entspringt. Er kommt nicht nur einer Pflicht nach, es ist seine Lust! Er liest die Bibel, weil er den Autor liebt. Er denkt darüber nach, weil er es liebt, darüber nachzudenken. Die Auswirkung: Es beeinflusst sein gesamtes Leben. Niemals könnte er noch im Sessel der Spötter sitzen genau so wenig wie in der Jauche.

V. 3 metaphorische Beschreibung des Gerechten: Diese Worte sind im Kontext des antiken Israel geschrieben – nicht sehr fruchtbare Gegend. Mit dem ersten und dem letzten Regen spriesst alles auf. Dazwischen sind viele Ströme vertrocknet. Der Gerechte ist umgeben von Wasserbächen. Es ist fortdauernd genügend Wasser vorhanden. Unabhängig der Jahreszeit trägt er Frucht. Diesem Bild begegnen wir immer wieder in der Bibel, z. B. in Jeremia 17,5+6 dürres Land ohne Wasser / 7+8 ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist. Es ist ein Bild es Überflusses. Der Baum fruchtet. Der Logik von V. 2 zu V. 3 gefolgt: Das Wasser ist das Wort Gottes, das den Baum Frucht bringen lässt. In der gleichen Weise kommt Gottes Wort zu uns: Es lässt auch uns gedeihen mit Zeichen des geistlichen Lebens und der Früchte.

V. 4 eine starke Verneinung: Aber absolut nicht so mit dem Ungerechten. Was bis jetzt über den Gerechten gesagt wurde, muss für den Gottlosen verneint werden. Ihr Bild entspricht dem von Jer 17,5+6 fruchtlos, wertlos, unbeständig, weggeweht.

V. 5 Betrachten wir das ganze aus Gottes Perspektive: Es ist sein Gerecht, das letztlich steht.

V. 6 Zusammenfassender Kontrast: Es geht nicht unbedingt um Gerechte und Gottlose. Es geht um den Weg der beiden Menschen. Der Herr beobachtet den Weg des Gerechten. Er anerkennt ihn als den eigenen an. Er bewahrt und segnet ihn, ja, es ist sein Pfad. Aber der Weg des Gottlosen führt zur Verdammnis. Auch der Weg des Gottlosen vergeht. In 50 Milliarden wird niemand Arbeiten über das Wirken von Stalin schreiben. In der ewigen Perspektive ist sein Weg so bedeutend wie die Flutspuren im Watt, die weggewischt werden. Wir selber leben in einem begrenzten Zeitraum, dass wir manchmal übersehen, dass auf die Ewigkeit betrachtet der Weg der Gottlosen vergeht. So sind wir berufen, den Weitblick Gottes anzunehmen.

Es gibt also zwei Wege zu leben. Nur zwei Wege zu leben? Ist das nicht ein bisschen zu sehr schwarz und weiss?

Abraham, Freund Gottes genannt, Vater der Gläubigen, Lügner, seine Frau in Gefahr gebracht. Zu welcher Sorte gehört er? Oder David: Ein Mann nach Gottes Herzen, ein brillanter Organisator, ein Militär-Genius, ein Heerführer, ein schlechter Vater, ein Ehebrecher, ein Mörder. Wie sieht erst jemand aus, der nicht ein Mann nach dem Herzen Gottes ist? Petrus ist der zugerüstete Prediger des Pfingstfestes. Dessen Theologie wird später von Paulus korrigiert. Die Helden der biblischen Geschichten sind armselige Gestalten. Daniel oder Ruth? Dann hört es schon auf. Oder denken wir an die 12 Patriarchen. Zehn von ihnen ringen mit der Entscheidung, ob sie den 11. umbringen. Der Ur-Ur-Grossvater von David geht eine Liaison mit einer Hure ein.

Wenn die ganze Bibel wie Psalm 1 gelesen wird, dann wird es zwei Arten von Menschen hervorbringen: Einige in der Tradition der Pharisäer im schlimmsten Sinne, die von ihrer Gerechtigkeit überzeugt sind. Sie sind arrogant und zeigen ständig auf ihre eigene Gerechtigkeit. Andere entdecken ihre vielen Sünden und sind absolut verzweifelt. Arroganz, Neid, Pornografie? Wie können wir Psalm 1 lesen und ermutigt werden? Wenn die ganze Bibel wie Ps 1 geschrieben ist, wäre es reiner Moralismus. Wenn die ganze Bibel wie die Geschichte Davids geschrieben wäre: Wenn David solche Sünden begeht, dann wird es bei mir auch nicht so schlimm sein.

Gott gab uns noch andere Arten der Literatur: Weisheitsliteratur. Oft gibt es dort einen absoluten Gegensatz zwischen dem Weisen und dem Toren. Sprüche: Frau Weisheit oder Frau Torheit folgen. Weisheitsliteratur im Neuen Testament: Jesus. Bedenke, wie er die Bergpredigt abschliesst mit dem breiten und dem schmalen Weg. Es hilft nichts zu wünschen, einen Weg dazwischen zu gehen. Und Jesus sagt: Sei nicht wie derjenige, der sein Haus auf Sand baut. Bau dein Haus besser auf den Felsen. Am liebsten aber würde ich ein Haus auf Tongrund bauen. Jesus predigt in den absoluten Polaritäten, aber auch in ganz anderen Formen: Apokalyptisch, Geschichten. Seine Beziehungen zu gebrochenen Menschen sind so zart und innig.

Unsere Kultur liebt die moralische Undeutigkeit. Welche Filme bekommen einen Oscar? Fast immer haben sie mit nicht eindeutiger Moral zu tun. Beispiel “Crash” mit vier Paaren, bei denen der eine sehr gut und der andere sehr bosartig aussieht. Am Schluss des Films gibt es nicht nur Verbindungen zwischen allen Partnern, sondern der Gute ist am Schluss der Schlechte, und der Schlechte entpuppt sich als gut. Unsere Generation liebt diese moralische Mehrdeutigkeit.

Das Hiobs-Drama: Zuerst klatschen die Kritiker: Es ist so tiefsinnig. Es gibt keine Lösung. Es gibt so viele moralische Doppeldeutigkeiten. Dann kommt das 42. Kapitel: Hiob hat von allem doppelt so viel. Die Kritiker hassen es: Wo ist jetzt die Mehrdeutigkeit? Das hört sich nach einem Cowboy-Film aus den 1950ern an. Jetzt gibt es wirklich den guten und den schlechten Typen. Das kann nicht vom selben Verfasser geschrieben sein, sondern von einem späteren Redaktor. Dabei ist das letzte Kapitel essentiell für die Geschichte Hiobs: Gott ist nicht an moralischer Doppeldeutigkeit interessiert. Am Ende gewinnt Gott. Und nicht nur das: Es wird sehr offensichtlich, dass die Gerechtigkeit Gottes triumphiert. Dies wird sichtbar für alle. Die Bibel ist sehr offen zum Versagen des Menschen. Es wird nicht als etwas hochgehalten, das wir bestaunen sollen. Die absoluten Aussagen in der Bibel heisst die Gesellschaft nicht gut. Aber in der Bibel sind es genau diese Aussagen, welchen den Charakter Gottes beschreiben. Was die Bibel als moralisch mehrdeutig darstellt, deutet unsere Gesellschaft als Gutes.

In 2. Mose 34 offenbart sich Gott Moses in den kraftvollen Worten von Vers 6. Er ist so gütig und sanft, so absolut in seiner Gerechtigkeit. Diese zwei Themen gehen durch die ganze Bibel. Sie bekommen nur im Kreuz ihre Auflösung. Gottes Güte wird dort am grössten offenbart. Gottes Gerechtigkeit wird am deutlichsten offenbart. Gerechtigkeit und Friede haben sich dort geküsst. Jesus, absolut gerecht, weint über die Sünden Jerusalems.

Wir müssen zum Absoluten halten, sonst werden wir immer Entschuldigungen für uns aufbauen. Wir müssen an den Unregelmässigkeiten festhalten, denn dies sind wir letztlich selbst. Und wir müssen an der Hoffnung festhalten, die allein von Gott kommt.

Wenn die Psalm 1 nicht in die christliche Theologie integrierst, dann kommt das Evangelium Gottes, das den Sünder mit Gott versöhnt, und die Kraft hat, uns zu verändern durch die neue Geburt, nicht zur Geltung. John Whitefield hat 3000-mal über Johannes 3 gepredigt. In einem Dorf: “Warum predigen Sie immer: Warum must du wiedergeboren werden?” – “Weil du wieder geboren werden musst.” Die Bibel ist immer so ehrlich, um unsere Unregelmässigkeiten vor Augen zu führen. Es hält uns aber auch die Heiligkeit Gottes vor Augen, wie wir nur durch das Kreuz damit übereinkommen werden. John Newton hatte wohl 20’000 schwarze Sklaven nach Nordamerika gebracht. Nach seiner Wiedergeburt hatte er täglich Albträume, in denen er die Sklaven schreien hörte. Am Ende seines Lebens schrieb: “Ich bin nicht, was ich sein will. Ich bin nicht, was ich sein sollte. Ich bin nicht, was ich eines Tages sein werde. Aber ich bin nicht mehr, was ich einst war. Durch die Gnade Gottes bin ich der, der ich bin.”

Die beiden Polaritäten, Gottes Heiligkeit und unsere Doppelgesichtigkeit, ziehen sich durch die Bibel. Aber nirgends so klar wie im 1. Johannesbrief. Wenn die Gläubigen für sich in Anspruch nehmen sündlos zu sein, so verführen sie sich selbst. Besser die Sünde bekennen, dass er sie uns vergibt. Das ist aber keine Erlaubnis zur Sünde. Er schreibt dies, damit sie nicht sündigen. Aber wenn jemand sündigt – und alle sündigen -, dann ist die einzige Lösung Jesus Christus, der Gerechte. Hier haben wir eine Betonung auf die Stellvertretende Versöhnung durch Jesus Christus. Im übrigen fokussiert sich das Buch auf die soziale Prüfung des Christen. Der Christ soll seinen Nächsten lieben und dadurch die Liebe zu Gottes zeigen. Christen sollen bestimmte Aussagen über Jesus glauben. Und sie sollen Jesus gehorchen. Die Sprache für alle drei Tests ist sehr absolut. Er besteht darauf, dass jeder Christ sich diesen drei Tests stellen muss. 1. Johannes 3,9 Wer aus Gott geboren ist, sündigt nicht. Das klingt doch wie Psalm 1, so absolut! Hör zu, Christ: Du kannst nicht sündigen, jede Sünde ist ohne Entschuldigung. Aber: Wenn jemand sagt, er sündige nicht, dann ist er ein Lügner. Und mit dieser Spannung leben wir bis ans Lebensende. Die einzige Lösung ist Jesus, der Mittler beim Vater. Benutze nie das Evangelium als Entschuldigung zu sündigen.