Eine pralle Ladung (6): Mit Paulus beten – ein Testfall für bibelgemässes Beten (Eph 3,14-21)

Der letzte Vortrag von D. A. Carson hat mich besonders bewegt. Er predigte über die Veränderung unseres Gebetslebens. Die letzten Vorträge waren exegetisch phantastisch aufbereitet, in diesem Vortrag schlägt das pastorale Anliegen Carsons voll durch. Das sind meine Notizen:

Einführung: Kinder können unglaublich gut nachahmen, denn so lernen sie viel. Ist euch schon mal aufgefallen, dass alle Kinder in der deutschsprachigen Schweiz Schweizerdeutsch sprechen? Warum? Weil sie das kopieren, was sie hören. Vieles von dem, was wir lernen, lernen wir durchs Imitieren. Wenn du säkular aufgewachsen bist und nie besten gelernt hast und an der Uni Christen triffst, dann kann es sein, dass dein erstes Gebet einfach eine Nachahmung dieser Menschen war. Wenn du in einer konservativen Familie wie ich aufgewachsen bist wie ich, dann hast du Gebete von klein auf gehört. Carson hat noch im alten Englisch beten gelernt.

Wie können wir das Gebetsleben der Gemeinden erneuern? Die Antwort muss sein: Wir brauchen bessere Vorbilder. Es ist wichtig, dass unsere pastoralen Gebete in der Gemeinde gut durchdacht sind. Die besten Beispiele aber finden wir in den Gebeten der Bibel: Wofür wir beten sollen, welche Sprache, welche Themen. Wenn wir diese Gebete auswendig lernen und beginnen, sie in unserem Kontext zu beten, dann lernen wir neu zu beten. Es wäre auch gut, die Gebete Moses’, Daniels und Davids zu lernen.

Aufbau des Vortrags

  1. Die Anliegen des Gebets
  2. Die Gründe des Gebets
  3. Der Lobpreis am Ende des Gebets

Wofür betet Paulus hier?

Es gibt zwei Anliegen: 1. Dass wir Gott uns Kraft gibt in unserem inneren Wesen durch seinen Geist (V. 16). Es ist also ein Gebet um Kraft. Schon vorher hatte Paulus um diese Kraft gebetet (Eph 1,18-19). Diese Macht ist dieselbe, wie er in der Auferstehung von Jesus offenbart hat. So wagt Paulus es hier, für dieselbe Kraft für die Gläubigen zu beten! Sehen wir, wie diese Kraft definiert wird: Sie soll in unserem inneren Menschen wirken. Der Ausdruck kommt nicht sehr häufig vor, dafür sehr eindrücklich in 2Kor 4,16-18. Der äussere Mensch, also unser Körper, verfällt von Tag zu Tag mehr. Manchmal ist das nicht sehr lustig. Meine Mutter ist an Alzheimer gestorben. Glaub mir, da sieht der Auferstehungsleib sehr gut dagegen aus. Was Paulus sich erbittet, ist nicht eine Kraft für den verfallenden Körper. Denn am letzten Tag, wenn Jesus wiederkommt, würde dieser Körper erneuert werden. Wofür er jetzt hier bittet, ist dass der innere Mensch gestärkt wird. Das wird uns mit neuer Entschiedenheit, Entscheidungskraft und wahrer Erkenntnis, Integrität und Heiligkeit ausstatten.

Wenn Paulus für Kraft betet, für welchen Zweck erbittet er dies? Einige wollen Kraft, um als kräftig betrachtet zu werden, zum Beispiel Simon der Zauberer (Apg 8). Gott gibt uns nicht die Kraft, um über irgendetwas zu triumphieren. “Damit Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohne” (V. 17). Weiss Paulus nicht, dass er für Christen beten, in deren Herzen bereits der Geist wohnt? Zum Beispiel ist es üblich für Christen, dass sie Gott kennen. Aber das hindert Paulus nicht daran, in Phil 3 zu beten: O, dass ich ihn doch erkenne, die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seines Leidens. Paulus kannte Gott bereits, aber er will ihn noch mehr erkennen. Er nimmt Residenz in uns (V. 17), das ist ein starkes Wort. Stellt euch ein junges Ehepaar mit wenig Geld vor, das ein kleines Haus kaufen kann. Es ist günstig, herunter gekommen und wird in mühevoller Kleinarbeit über Monate und Jahre erneuert. Nach einigen Jahren war es von den beiden geprägt. So nimmt Christus in uns Residenz. Er findet uns als Menschen mit schwarz-silbener Tapete vor, mit viel Hundegeruch im Teppich, verfallendem Dach. Mit derselben Kraft, die Jesus aus den Toten brachte, fängt er diese Erneuerung bei uns an. Das Evangelium bringt uns nicht nur Vergebung, sondern auch Veränderung. Er erneuert uns und macht uns zu einer angenehmen Wohnung. Das ist das Wunder der Heiligung. Diese bildliche Beschreibung kann auch an anderen Stellen gefunden werden, z. B. Gal 4,19: Christus, der Gestalt in uns annimmt. Christsein ist mehr als ein Bekenntnis (nie weniger).

Mit welchen Ressourcen wird dieses Gebet beantwortet?

Die Kraft wird nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit gegeben. Bei jedem Vorkommen bei Paulus bezieht es sich auf den Reichtum der Herrlichkeit, die für uns durch Jesus Christus erworben wurde (z. B. Phil 4,19). Alles wurde gesichert durch ihn. Aller Reichtum seiner Herrlichkeit besitzen wir durch Jesus. Die Bereitstellung ist so ausreichend wie das Kreuz Christi. Der Christ kann sich dessen sicher sein, kein Vielleicht. Gott hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, also wird er uns mit ihm alles geben. Wann hast du das letzte Mal dieses Gebet gesprochen?

Zweites Anliegen: Wir wurden in Liebe auserwählt (Eph 1,4). Gottes erwählende Kraft beruht auf seiner Liebe. Also sind wir in dieser Liebe gewurzelt und gegründet. Diese Verwurzelung geht in das nächste Anliegen ein: Die grenzenlosen Masse von Gottes Liebe zu verstehen. Obwohl wir in der Liebe eingewurzelt sind, will Paulus, dass wir das unbegrenzte Ausmass dieser Liebe begreifen. Es ist kein Gebot, dass wir Gott noch mehr lieben. Das ist ein gutes Gebet. Hier geht es darum, Gottes Liebe für uns noch besser zu verstehen. Nicht, dass Gott uns noch mehr liebt. Nun, durch das Lesen der Zeitungen und die Nachrichten wissen wir, dass Kinder ohne emotionale Stabilität verkrüppelt sind. Gott kann jeglichen Menschen nehmen und ihn erneuern.

Carson erzählt eine bewegende Geschichte von dreieinhalbjährigen Zwillingen, die von Freunden aufgenommen wurden, die während ihres Lebens 30 Pflegekinder bei sich hatten. Sie nahmen diese in ihr schon volles Haus auf, und sie blieben über drei Jahre bei ihnen, bis sie von einer christlichen Familie adoptiert wurden. Beim Kommen waren sie emotional verkrüppelt ohne Aussicht auf ein normales Leben, beim Gehen “normalisiert”.

Im ganzen Gebet von Paulus geht es darum, mit aller Gottesfülle erfüllt zu werden. Das meint: Geistlich reif zu sein. Paulus betet also für die Epheser, dass sie Kraft haben mögen, zusammen mit dem ganzen Volk Gottes das unbegrenzte Ausmass der Liebe Gottes zu verstehen. Das Ziel ist geistliche Reife. Wie kann man von der Quantität der Liebe sprechen? Paulus benutzt in einer Metapher ein lineares Mass. Dann benützt er paradoxe Sprache: Die Liebe erkennen, welche die Erkenntnis übersteigt. Sie sollen in ihrer Erfahrung erkennen, was weit über alles Denkbare hinausgeht. Es ist eines, Gottes Liebe zu kennen, etwas anderes, von seiner Liebe betrunken zu sein. Geistliche Reife ist daran messbar, wie stark zu begreifst, wie sehr Gott dich liebt. Die Liebe geht in die Ewigkeit und die Auserwählung zurück, zum Kreuz, die deine Zukunft für immer gesichert hat.

Wann hast du das letzte Mal dieses Gebet gebetet? Beginne sie in dein Leben und in das Leben der anderen Menschen hineinzubeten. Das bedeutet es in Jesus Namen zu beten. Das ist keine magische Formel. Es bedeutet dafür zu beten, was Jesus will, dass wir beten.

Die doppelte Basis für die Anliegen

Der Grund für dieses Gebet geht auf Eph 3,1 zurück. Dies wiederum geht auf Eph 1+2 zurück. Zusammengefasst: Paulus entwirft eine überragende Vision von Gott. Es ist alles zum Lobpreis seiner Gnade. Diese Absichten bringen Juden und Heiden in einer neuen Menschheit zusammen, errettet durch das Kreuz. Streit und Hass ist beseitigt. Die Heiden, die einst noch weiter weg waren von Gott, sind nahe gebracht. Jesus Christus selbst ist zu ihrem Frieden geworden. Ihr alle seid Mitbürger in Gottes Volk und seine Hausgenossen. Das ist Paulus’ Vision. Aus diesem Grund beugt er seine Knie. Er betet nicht nur einige fromme Sätze. Er bringt diese Anliegen vor Gott, weil sie seinen erlösenden Absichten entsprechen. Wir sollen zu einem Volk werden, dessen Erneuerung sichtbar wird.

Der zweite Grund: Jedes Verständnis von Vaterschaft findet sein Modell in Gott, dem Vater. Wenn wir zum Vater kommen, um uns etwas von ihm zu erbitten, dann kommen wir zu einem, der uns als Vater liebt. Das lässt uns an die Bergpredigt und an andere Lehren Jesu denken: Wenn ein Sohn den Vater um Brot bittet, wird er ihnen keine Schlange geben. Paulus wagt es hier, vom himmlischen Vater das Grösste, Beste zu erbitten.

Der Schluss des Gebetes

Es gibt zwei wichtige Aussagen des Lobpreises: Das Gebet ist an den gerichtet, der über die Massen mehr tun kann als das, was wir erbitten. Vielleicht sagen wir: Ein solches Gebet wird keinen grossen Unterschied ausmachen. Er ist ein Gott von unendlicher Kraft. Einige von uns beten so, als wären wir funktionale Idealisten. Wir wollen nicht um zu viel bitten, denn dann würden wir enttäuscht werden. So sieht Paulus die Sache nicht. Was könntest du dir als kühnste Auswirkung dieser Konferenz vorstellen? Wie wäre es mit der Bitte, dass unsere Leben transformiert und verändert werden? Denke gross, und es ist zu klein für Gottes Denken.

Sogar in diesem Moment sind wir immer noch korrupt. Wir erbitten uns diese Kraft vielleicht nur um der Erfahrung willen. Wir wollen die Dinge, aber nicht den Gott, der sie uns gibt. Das ist eine andere Form der Selbstsucht. Das ultimative Ziel dieser Anliegen ist die Herrlichkeit Gottes in der Kirche und in Jesus Christus!