Unterricht zu Hause (3): Warum ich das gesellschaftlich akzeptierte Modell der Sozialisierung nicht erstrebenswert finde

Lass mich einige weitere Argumente nennen:

Kindliche Lernstrategien sind längst nicht alle erfolgsversprechend. Von den Erwachsenen unbemerkt können sich Fehlschlüsse einschleichen, die zu Fehlhaltungen, Misserfolgen, Frustration und Desinteresse führen. Dies kann sich auf einzelne Disziplinen (bevorzugt z. B. Mathe), aber auch auf die Schule als Ort des Lernens beziehen.

Das Ziel der Peergroup (= Orientierungsgrösse) ist oft Nicht-Lernen. Vor allem in den oberen Klassen wird viel Energie darauf verwendet, möglichst wenig zu lernen; langweilige Stunden, Tage, Monate und Semester zu überbrücken; Lehrer in Gespräche zu verwickeln – oder einfach das Lernen zu verweigern. Klar, viele tun den „Knopf“ später auf, in der Berufsausbildung oder später in einer Lebensetappe, in der sie in ihrer Tätigkeit unmittelbar Sinn erleben. Es bleibt aber zu bemängeln: Die produktivsten Jahre werden ungenügend genützt (siehe diese Serie “Mythen der Adoleszenz”).

Als überzeugter Christ gehe ich davon aus, dass Gott den Menschen in der Gemeinschaft geschaffen hat, und zwar in der Familiengemeinschaft (siehe diese Serie zur Sexualethik). Wer aus Überzeugung einen Intensiv-Familien-Lebensstil leben möchte, der leistet eben in dieser Hinsicht einen Sondereffort einer natürlichen, Gott-gegebenen Sozialisierung. Zudem will ich unser Zuhause eben auch als Treffpunkt für die erweiterte Familie, Nachbarn, Freunde und Bekannte verstehe. Unsere Söhne sollen mit anderen Menschen, Generationen, Kulturen, Religionen in Kontakt kommen. Ich erlebe bei vielen „normal sozialisierten“ Kindern eben das Gegenteil: Gruppenbildung, Abgrenzung gegen andere Sprachen, Schichten, Altersgruppen und Generationen. Zudem gestehe ich offen: Meine Kinder haben weit mehr Kontakte als ich damals in der Schule.

Nach allem, was ich bisher gesehen und erlebt habe, ist die Kontaktfreudigkeit nicht von der Bildungsform, sondern vor allem vom Charakter des Kindes abhängig. In unseren Breitengraden wird offensichtlich der extrovertierte, selbstbewusste Stil eher bevorzugt. Als introvertiert-menschenorientierter Mensch meine ich aber, dass ich trotz meiner kindlichen Kontaktscheue, die durch die Schule bei mir verstärkt worden war, als Erwachsener keine Nachteile habe. Im Gegenteil.

Wenn ich Heimschüler im Kontakt mit für sie unbekannten Menschen erlebe, stelle ich fest: Es findet ein unbefangener Umgang mit anderen Altersstufen und Erwachsenen allgemein statt. Sie sehen sich als Gegenüber, stellen Fragen, wollen von ihnen lernen. Das Spiel zwischen zu Hause unterrichteten Kindern verläuft über Stunden harmonisch und intensiv. Ich sehe: Naturverbundenheit, Bewegungsfreude, fantasievolle Spiele mit wenig Material. Ich behaupte sogar: Es findet massiv weniger Medienkonsum statt. Manchmal sage ich zu meiner Frau: Eigentlich leben wir in dieser Beziehung ein Modell, das vor zwei, drei Generationen noch üblich war.