Buchbesprechung: Gefoltert für Christus

Richard Wurmbrand. Gefoltert für Christus. Hilfsaktion Märtyrerkirche: Uhldingen, 2004. 144 Seiten. Kostenloser Online-Download hier.

Es wäre wohl am Ziel vorbeigeschossen, eine „normale“ Buchbesprechung zu diesem Werk schreiben zu wollen. Es entstand vor 50 Jahren und ist millionenfach gedruckt worden: Ein Bericht über die rumänische Untergrundkirche unter dem kommunistischen Regime. Der Text ist eingerahmt von einer längeren, hilfreichen Einleitung und einem ausführlichen Interview. 2014 ist der kommunistische Ostblock längst Vergangenheit (auch wenn für manche vor allem intellektuelle Kreise Sozialismus und Kommunismus nach wie vor anziehend). Christenverfolgung ist keineswegs Geschichte, im Gegenteil. Ein beträchtlicher Teil der weltweiten Christen wird verfolgt, vor allem in Asien und Afrika. Seitdem ich selbst mit verfolgten Christen in Kontakt gekommen bin – zum Segen meines eigenen geistlichen Lebens -, bin ich mir der Verbindung mit ihnen viel intensiver bewusst geworden. Unsere Geschwister benötigen unsere Gebete, unsere Tränen, unsere Briefe und Besuche, unsere öffentlichen Stellungnahmen und unseren Protest.

Doch ich habe vorgegriffen. Richard Wurmbrand durfte Mitte der 1960er-Jahre aus Rumänien ausreisen. Er nahm sich vor, die Stimme der verfolgten Untergrundkirche in der westlichen Welt zu sein. Dafür stand er wiederholt in der Kritik, wie das idea-Interview von 1990 kurz nach dem Zusammenbruch des rumänischen Terror-Regimes anschaulich zeigt (siehe Anhang des Buches). „Menschen sind vor Gott nicht nur für ihre persönlichen Sünden verantwortlich, sondern auch für die politischen Sünden ihres Volkes. Die Tragödie all der versklavten Völker Osteuropas geht auch zu Lasten der amerikanischen und britischen Christen.“ (19) Solchen Voten sind uns zu radikal. Wir wollen es etwas gemässigter. Ich glaube, wir wollen vor allem nicht gestört werden. Doch eben diese Selbstzufriedenheit und Trägheit wird mit diesem Buch definitiv durchbrochen. Es hat die Unruhe in mir verstärkt.

Hier sind einige Anstösse, die mir das Buch gab:

Gott benützte die Gebete eines alten Schreiners, um Wurmbrand Ende Zwanzig aus seinem Atheismus zu bekehren. "Dennoch wurde mir, wie ich es später erfassen durfte, die Gnade zuteil, einer der von Gott Erwählten zu sein – aus Gründen, die ich mit der Vernunft nicht begreife. Es waren Gründe, die mit meinem Charakter nicht das geringste zu tun hatten, weil mein Charakter sehr schlecht war." Durch das ganze Buch hindurch hat mir diese Sprache sehr gut gefallen: Gottes uneingeschränkte Souveränität atmet durch jede Seite. Gleichzeitig liess dies den Autor nicht in eine Opferhaltung fallen, vielmehr formte ihn diese Überzeugung zu einem lebenslangen Kämpfer. Als er etwa zum zweiten Mal aus dem Gefängnis entlassen worden war, wünschte er sich nichts sehnlicher als ein Leben in Ruhe und Abgeschiedenheit. Doch: „So beschloß ich, was allen Christen zu tun aufgetragen ist: dem Beispiel Christi, seiner Apostel und seiner Gemeinde der Heiligen zu folgen, den Gedanken an ein zurückgezogenes Leben aufzugeben und den Kampf des Glaubens von neuem aufzunehmen.“ (75)

Die zweite Stelle, die mich nicht mehr loslässt, ist die kurze Schilderung eines grossen Kongresses nach der Machtübernahme der Kommunisten in Rumänien 1947. Tausende von Geistlichen jubelten Stalin dem Führer zu. Einer stand auf – Wurmbrand. „Meine Frau saß neben mir und sagte zu mir: ‚Richard, steh‘ auf und wasche diese Schande vom Antlitz Christi! Sie speien ihm ins Gesicht.‘ Ich sagte zu meiner Frau: ‚Wenn ich das tue, verlierst Du Deinen Mann.‘ Sie erwiderte: ‚Ich möchte keinen Feigling zum Mann haben.‘“ (20) Was für eine Frau an der Seite dieses Mannes! Sie hat ihren Mann nicht nur für 14 Jahre im Gefängnis loslassen müssen (viele sind nie mehr zurückgekommen). Sie wurde selber gefangen genommen und schrecklich gefoltert.

Manche kurz eingeflochtenen Bemerkungen brachten mich ins Nachdenken. Ich glaube, dass sich manche unserer Fragen erst durch gelebten Glauben zu klären beginnen (bzw. dass sich unser Blick weitet, um Geheimnisse Geheimnisse bleiben zu lassen). So schreibt Wurmbrand zur Frage des Leids: „Es gab kaum eine Familie, die nicht einen Angehörigen im Gefängnis hatte. Die allgemeine Not war sehr groß. Die Leute fragten: „Wie ist es möglich, daß ein Gott der Liebe den Triumph des Bösen zuläßt?“ Den ersten Aposteln wäre es kaum leichter gefallen, am Karfreitag die Botschaft von Jesus Christus zu predigen, nachdem er am Kreuz gestorben war und die Worte ausgerufen hatte: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Die Tatsache aber, daß sein Werk dennoch unter uns getan wurde, erweist, daß es von Gott war und nicht von uns. Daher kann nur der Glaube an Jesus Christus jene Frage beantworten.“ (33) Wurmbrand selbst bezeugt: „Ich habe nicht das Gefühl eines sinnlosen Verlustes, wenn ich an die vielen Jahre im Gefängnis denke. Ich habe dort herrliche Dinge erlebt.“ (47)

„Hinter Gefängnismauern sind über mich volle 14 Jahre hinweggegangen. Während dieser Zeit habe ich niemals eine Bibel oder irgendein Buch gesehen. Das Schreiben hatte ich fast verlernt.“ (51) Man stelle sich diese groteske Situation vor: In Rumänien verbrachten die Christen jahrelang in den Gefängnissen ohne über eine Bibel zu verfügen. Sie waren durch Folter und Hunger derart geschwächt, dass sie kaum noch zwei Sätze beten konnten. Die Christen zehrten von Bibelversen aus Schmähschriften der Kommunisten: „Die Untergrundkirche weiß sich jedoch diesen Zustand nutzbar zu machen. In erster Linie bezieht sie ihre Nahrung aus der atheistischen Literatur, so wie Elia sich von den Raben ernähren ließ. Denn die Atheisten wenden viel Kunst und Fleiß daran, Bibelverse zu kritisieren und lächerlich zu machen.“ (91) Und wir im Westen? Wir lassen die Bibeln in unseren Gestellen verstauben! Wir ernähren uns stattdessen vornehmlich von dem, was unser säkulares Umfeld isst. Mit welchem Ergebnis? Dass wir die Gedanken denken, die sie denken, und die Werke tun, die sie tun. So etwas nennt man freiwillige Unter- und Mangelernährung.

Wurmbrand öffnete meine Augen auch für neue Ansätze. So habe ich mir das bisher noch nicht überlegt: „Wir müssen die Verantwortlichen gewinnen: die führenden Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst. Sie sind die Ingenieure der Massengesellschaft, denn sie formen die Seelen der Menschen. Wenn man diese gewinnt, gewinnt man zugleich die Menschen, die von ihnen gelenkt und beeinflußt werden.“ (62) Die rumänischen Christen gaben ihr Leben hin, um bestimmten Menschen, gerade auch hohen Funktionären, das Evangelium zu bringen. Manche von ihnen opferten bewusst Gesundheit, Familie und Leben für eine einzige Gelegenheit.

Wurmbrand hatte eine glasklare Sicht vom philosophischen Materialismus. Er hatte die Auswirkungen dieser Ideen leibhaftig gespürt. „Sie sind Materialisten. Für sie existiert nichts als Materie, und ein Mensch ist für sie wie ein Stück Holz, wie eine Eierschale. Mit solchem Glauben sinken sie in unvorstellbaren Tiefen der Grausamkeit.“ (39) Ebenso bedenkenswert fand ich die Stellen mit den Beispielen, in denen Christen klar und unmissverständlich den verkündigten Atheismus widerlegten. Allein schon deshalb ist das Buch der Lektüre wert!

Kann man es Wurmbrand verübeln, dass er sich im Westen stets nach der Untergrundkirche zurücksehnte? Ich meine, nein. „Ich leide im freien Westen mehr, als ich in kommunistischen Ländern gelitten habe. Mein Leiden besteht vor allem in der Sehnsucht nach der unaussprechlichen Schönheit der unterdrückten Kirche.“ (77) Einige Seiten später beschreibt er, was er mit Schönheit meinte: „Wir von der Untergrundkirche haben keine Kathedralen. Aber kann irgendeine Kathedrale schöner sein als der gewölbte Himmel, in den wir schauten, wenn wir uns in den Wäldern heimlich versammelten? Das Zwitschern der Vögel übernahm die Rolle der Orgel. Der Duft der Blumen war unser Weihrauch. Und der schäbige Anzug eines gerade aus dem Gefängnis entlassenen Märtyrers war uns feierlicher als die feinste Robe eines Priesters. Den Mond und die Sterne hatten wir als Kerzen. Die Engel selber waren unsere Meßdiener, die sie anzündeten.“ (86)

Wie können wir verfolgte Christen unterstützen? „Sie helfen auch uns am besten, wenn Sie ein Leben führen, das mit dem Glauben übereinstimmt, ein Leben der Selbsthingabe. Und Sie können dadurch helfen, daß Sie öffentlich Ihre Stimme erheben, wann immer Christen verfolgt werden. Weiterhin könnt Ihr Christen in der freien Welt uns eine große Hilfe sein, wenn Ihr für die Verfolger betet, damit sie errettet werden.“  (124) Ob der Moment kommt, dass ich verfolgte Christen besuchen kann? Ich hoffe es. Wurmbrand schreibt: „Während der Jahre der Gehirnwäsche hatten wir nur das eine gehört: ‚Niemand liebt Euch mehr – niemand liebt Euch mehr – niemand liebt Euch mehr…‘ Nun sahen wir auf einmal Christen aus England und Amerika leibhaftig vor uns, die ihr Leben aufs Spiel setzten und uns bewiesen, daß sie uns wirklich liebten. Sie nahmen unseren Rat an und entwickelten eine besondere Methode zur Tarnung ihrer Arbeit.“ (53) Was für eine Stärkung muss es sein, von anderen Christen besucht zu werden. „Es gibt viele hungernde Menschen in der Welt, aber ich kann mir kaum vorstellen, daß irgend jemand mehr Hunger leidet als die verfolgten Christen oder etwa eher Anspruch hätte auf die Hilfe der Christen aus dem freien Westen.“ (69)