Rückblick: Verlangsamt

Seit mehr als fünf Wochen bin ich durch einen Bänderanriss verlangsamt. Im Moment, als mich der Schmerz durchfuhr, schoss mir der Gedanke durch den Kopf: Ich habe wieder eine Lektion zu lernen. So setzte ich mich hin, um über das Gelernte nachzudenken.

1. Ich bin ständig in Bewegung.

Mein Schöpfer hat mich mit zwei Beinen geschaffen. Das bedeutet, dass ich ständig in Bewegung bin. Mit meinen Füssen suche ich viele Orte auf. Das beginnt in der Wohnung, geht weiter bei Besorgungen, dem Gang an den Arbeitsplatz, in die Gemeinde. Dazu kommen Besuche bei Familie und Freunden und Fahrten auf Seminare. Für jeden einzelnen dieser Gänge musste ich mir überlegen: Reicht die Kraft? Tut es dem Fuss gut? Wieviel Zeit brauche ich, um hin und zurückzukommen? Wie kann ich den Fuss entlasten?

Ich bin dankbar für die Bewegung, denn

  • sie regt an, weil sie mich in neue Umgebungen bringt
  • sie hält fit, weil ich den Bewegungsapparat dauernd mobilisiere
  • sie bringt mich zu anderen Menschen

2. Verlangsamung kann heil-sam sein.

Die erste Woche nahm ich die Mahnung nicht richtig ernst und humpelte einfach weiter – ohne Krücken. Nach einer Abendveranstaltung, einem Seminar, Besuch, Gottesdienst und einer Reise nach Wien kam ich mit geschwollenem Fuss wieder zu Hause an. Der Arzt ermahnte mich: Wenn ich den Fuss nicht entlaste, könne es eine Folgereaktion geben, bei der das gesamte Bein seinen Dienst versagt!

3. Die Verletzung erinnert mich an meine Begrenzung.

Mir ging immer wieder ein Wortspiel durch den Kopf: Zuerst hatte ich beim Sport den Fuss über-treten. Trotzdem musste ich in den Folgetagen mehrmals auf-treten und verschiedene Schauplätze be-treten. Über-treten, auft-treten, be-treten kann man in vielerlei Hinsicht, physisch und im übertragenen Sinn. Ein Freund setzte lachend hinzu: "Und irgendwann müssen wir alle ab-treten." Stimmt.

4. Nur wer mit Krücken geht, dem wird mit Rücksicht begegnet.

Ein voller Bus oder eine überfüllte Strassenbahn? Niemand macht dir Platz. Du musst ständig auf deinen Fuss aufpassen. Du wirst angerempelt und hin und her geschoben. Da wurde mir bewusst, wie es Menschen mit Beeinträchtigungen oder älteren Menschen gehen muss. Alle sind schneller als du. Sie gehen zielstrebig ihren Weg. Du bist ihnen höchstens im Weg. Mit Krücken ging es mir da etwas besser.

5. Ich liebe es zu gehen!

Es kam mich schwer an, auf meine vielen Spaziergänge. Unterwegs zu Kunden? Geh ein paar Haltestellen zu Fuss. Ein Tag zu Hause? Geh mit deinen Jungs auf den Hausberg. Nach einem Bürotag müde im Kopf? Geh den ersten Teil deines Heimwegs zu Fuss. Sonntagmorgen? Spaziere mit deiner Familie zur Gemeinde. So wie ich vor Jahren den Wagen vermisste, den wir verkauft haben, so vermisste ich jetzt die fehlende Bewegung.

6. In Bewegung Gedanken weiter entwickeln

Durch Bewegung kann ich auch viele Gedanken, die ich in mir herumtrage, weiter entwickeln. Ich denke über die gelesenen Bibelabschnitte nach. Ich denke laut oder leise über Argumente in Aufsätzen nach. Ich gehe gedanklich eine Predigt durch. Oder tausche mich mit meinem himmlischen Vater aus.