Aus den Medien: Innerer Riss innerhalb deutscher Evangelikaler tritt zutage

In den letzten Tagen hat sich in den Reihen der deutschen Evangelikalen eine engagierte Diskussion zugetragen.

Auftakt und Auslöser bildete ein Interview des Vorsitzenden der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA), Michael Diener, in der "Welt" unter der Schlagzeile "Chef der Evangelikalen will Homo-Verdammung stoppen". Er unterscheidet darin zwischen seiner persönlichen Ansicht zur Segnung homosexueller Paare und der anderen Lesart von Glaubensgeschwistern, die es zu akzeptieren gelte. Ebenso sprach er sich für die Mitarbeit von Homosexuellen in den Gemeinden aus.

Eine der ersten Reaktionen kam vom jungen Theologen Johannes Traichel: "Diener vertritt die Ansicht, dass Homosexualität nicht von der Schrift gedeckt ist. Aber er fordert Pluralität in dieser Frage. Ist dies nicht viel mehr die Scheu vor klaren Aussagen? Wenn wir als Evangelikale in die Beliebigkeit uns fallen lassen, verlieren wir wie das Salz seine Kraft. Wir müssen viel mehr die Fahne der Bibel in allen Bereichen hochhalten. Herr Diener, ich wünsche mir von ihnen den Mut auch hier die unbequeme Kante zu zeigen, nicht für mich, sondern aus Liebe zu Gott und seinem Wort!" Traichel forderte Diener unverhohlen zum Rücktritt auf.

Als nächtes folgte ein offener Brief des deutschen Evangelisten Ulrich Parzany: "Die Bibel wurde schon immer von anderen auch anders verstanden. Das ist doch eine Banalität. Was soll die Berufung auf die Heilige Schrift, wenn Du sie der Beliebigkeit subjektiver Sichten auslieferst?" Der Theologe, Publizist und Blogger Ron Kubsch kommentiert dazu: "Die Debatten um die christliche Sexualethik oder das richtige Verständnis von Mission sind allerdings nur die Spitze des Eisbergs. Es geht um viel mehr, nämlich um den Wahrheitsanspruch der christlichen Offenbarung, die Bibelfrage und unsere theologische Arbeitsweise (Methodologie)."

Parzany regt die Gründung eines Netzwerks "Bibel und Bekenntnis" an (siehe idea-Meldung): "Nach seinen Worten haben „bestehende bundesweite Bewegungen ihre Integrationskraft verloren oder finden in den aktuellen kontroversen Themen nicht zu gemeinsamen Überzeugungen“. Er ist davon überzeugt, dass die bereits bestehenden Initiativen in den Regionen wirkungsvoller agieren könnten, wenn sie sich verbinden. Für die wichtigste Aufgabe derzeit hält Parzany die biblische Lehre. Neben der Auslegung der Heiligen Schrift in Predigten müssten kontroverse Themen in Bibelabenden, Bibelwochen, Bekenntnistagen, Bibelkreisen, Seminaren sowie durch die Medien behandelt werden."

Die Deutsche Evangelische Allianz nahm mit folgenden Worten Stellung: "Die Heilige Schrift ist die „Norm der Normen“ für Lehre und Leben der Christen und darum auch verbindliche Grundlage für inhaltliche Diskussionen." Mein persönlicher Kommentar hierzu: "Einerseits finde ich es konsequent, auf eine Bekenntnisgrundlage zurück zu verweisen, den Dissens mit dem Vorsitzenden festzustellen und weitere Gespräche anzukündigen. Andererseits war dieses Interview trotz allem ein Schuss in den Rücken, vielleicht – das kann ich nicht beurteilen – sogar absichtlich. Denn welcher Sachverhalt ist dadurch entstanden? Der ethische Relativismus ist nun als Prinzip offiziell in den Reihen der DEA installiert. Ich habe meine Wahrheit und du hast deine. Beide stehen gleichwertig nebeneinander. Das Dogma der Eindeutigkeitsintoleranz ist vom Prinzip her eingerichtet und wird zum Sakrileg für einen sogenannten Evangelikalen. Die Frage der Homosexualität ist für mich nur Symptom, die auf ein unterschiedliches Verständnis in der Bibel- und Wahrheitsfrage hinweist. Was wird auf der Gemeindeebene gelebt, wenn schon der Vorstand der DEA faktisch die Eindeutigkeitsintoleranz lebt? Und wie rechtfertigt man ein solch gelebtes Verhalten aufgrund der Schrift? (Ich weiss schon, dass man auf eine solche Frage gerne eine Jesus-Toleranz-Hermeneutik herbeiredet.)"

In einer Diskussion auf Facebook fügte ein Teilnehmer folgende Erläuterungen hinzu: "Dieses Bekenntnis ist sehr hilfreich und erfreulich. Es wird aber leider auf Dauer nicht ausreichen, wenn es gelingt, mit einer relativistischen postmodernen Hermeneutik die Aussagen der Heiligen Schrift zu relativieren. Was wir auf Dauer brauchen, ist ein weiteres Bekenntnis mit Minimalvorgaben für eine bibeltreue HERMENEUTIK. Sonst sagen zwar alle Seiten: "Ich bin bibeltreu." Aber der eine sagt: "Die Bibel sagt klar, Homosexualität ist Sünde." Der nächste sagt: "Das ist nur DEINE Hermeneutik. Hermeneutik ist immer relativ". Und schon ist der zweite Punkt ausgehebelt. Dieser Trend ist klar erkennbar. Hier sollte also bald gehandelt werden. ENTWEDER, die Evangelische Allianz legt auf simple Weise ein paar ERGEBNISSE des hermeneutischen Prozesses fest (z.B. wir bekennen klar, dass praktizierte Homosexualität Sünde ist, und anderslautende Meinungen sollen auch nicht "stehengelassen" werden im Sinne von als "gleichwertig" anerkannt werden, denn diese Frage ist keine Frage der subjektiven Interpretation). ODER die Evangelische Allianz einigt sich auf ein paar REGELN ZUR HERMENEUTIK. In denen sollte klar die Ablehnung einer postmodernen Hermeneutik zur Sprache kommen."

Auch die Stellungnahme des Bibelbunds ist wohltuend klar: "Nicht alle Interpretationen der Bibel sind gleich gültig und akzeptabel, wie in Dieners Äußerungen vorausgesetzt. Es ist falsch, jede subjektive und häufig interessengeleitete Deutung der Bibel als legitim und gleichwertig zu betrachten. Zwar treten durch einen solchen Umgang mit Wahrheit Konflikte und Differenzen in den Hintergrund. Gleichzeitig aber führt diese Auffassung zu einer generellen Relativierung göttlicher Aussagen. Die Bibel mit ihrem absoluten Wahrheitsanspruch wird hier ohne Not dem Diktat der Postmoderne und des Konstruktivismus ausgeliefert. Gottes Massstäbe entstehen eben nicht erst in der jeweils subjektiven Interpretation des Menschen, wie Diener nahelegt. Biblische Aussagen sind auch losgelöst von eigenen Prägungen und Meinungen erkennbar. Ob Gott beispielsweise Homosexualität ablehnt oder gutheißt, darf nicht auf die Ebene persönlicher Meinungen oder unterschiedlicher Lebensumstände reduziert werden. Pluralität und Meinungsvielfalt sind, im Gegensatz zu Dieners Äußerungen, keine christlichen Werte an sich."

Von der Gegenseite wird der Vorwurf der Lieblosigkeit am heiligen Weihnachtsfest erhoben. Der Transformationstheologe Tobias Faix fordert mehr Ambiguitätstoleranz. Ein Kommentator schrieb dazu folgende Parabel: "Vor vielen Jahrhunderten ließ ein König für seine Untertanen ein prächtiges Haus bauen, ein Haus, wie es die Menschheit noch nie gesehen hatte. Weil er sehr weise war, beschloss er, vor das Haus einen Vorhof für Menschen aus anderen Völkern bauen zu lassen, damit auch sie etwas von dem Haus hätten. Eines Tages kommt der Sohn des Königs zu Besuch und sieht sich natürlich auch das Haus seines Vaters an. Wie selbstverständlich haben die Untertanen den Vorhof für sich in Besitz genommen. Sie nutzen den gewonnen Platz, um Geschäfte abzuschließen und Geld zu machen. Der Kronprinz hatte damit so seine Probleme. Was nun eigentlich hätte passieren müssen: In seiner ganzen Ambiguitätstoleranz beginnt der Kronprinz trotz seiner Kritik einen „liebe- und verständnisvollen“ Dialog mit den Vorhofbesetzern. In dem Dialog stellt sich heraus, dass man sich in Teilen ja nur missverstanden habe und man sich trotz aller sachlichen Differenzen verstehe, akzeptiere und respektiere. Die wahren Bösen – so sind sich Kronprinz und Geschäftsleute schnell einig – seien die Ewiggestrigen, die behaupten, sie würden die Wahrheit über den Zweck des Hauses und seinen Vorhof kennen. Die Geschäftsleute erkennen an, dass die Vorhofbesetzung doch etwas zu forsch war. Und der Kronprinz entschuldigt sich aufrichtig für sein anfängliches Schwarz-Weiß-Denken. Dank des Dialogs gibt es die ambiguitätstolerante „Friede-Freude-Eierkuchen-Welt“ für alle (außer natürlich für die nörgelnden Konservativen). Was tatsächlich passierte: Der Kronprinz beginnt zu schimpfen. Aber nicht nur das. Er wird handgreiflich und vertreibt die Geschäftsleute aus dem Haus. Einrichtungsgegenstände stürzen um. Tische und Stühle fallen zu Boden. Anschließend bezieht der Kronprinz unmissverständlich und öffentlich Stellung gegen die Vorhofbesetzung. Der Kronprinz ist nämlich nicht ambiguitätstolerant. Er ist ambiguitätsresistent. Und sein Name ist Jesus. (s. Markus 11,15-18)"

Mein Fazit: Der innere Riss, der die Evangelikalen schon länger in Lehre und Leben trennt, tritt langsam zu Tage. Neben allem Unschönen ist dies aber auch erleichternd, wie dies ein weiterer Kommentator richtig bemerkt: "Ich sehe aber auch eine Erleichterung darin, dass der Riss endlich auch für Christen sichtbar wird, die nicht nur den 'inneren Kreis' der Evangelikalen kennen. Es ist nicht mehr ein ungewisses Etwas, das Unbehagen hervorbringt sonden klare Positionen, zu denen man Stellung beziehen kann. Es wird wieder Zeit für Bekenntnisse!" Etwas vom Vordringlichsten ist die Rückkehr bestehender Ausbildungsstätten zu einer bekenntnistreuen Linie und die Bildung neuer Gemeinschaften, wie ich es  hier beschrieben habe.