Standpunkt: Der innerevangelikale Riss wird deutlicher

Es ist nicht verwunderlich, dass der Streit zwischen Evangelikalen und Post-Evangelikalen weitergeht. Ich habe bereits verschiedentlich darüber berichtet, zuletzt "Vorsicht vor dem Hebel – alte Irrlehre in zeitgemässer Verpackung". Mit harten Bandagen wurde letztes Wochenende in den sozialen Medien über die Äußerungen des Generalsekretärs der Deutschen Evangelischen Allianz, Hartmut Steeb, diskutiert (evangelisch.de und theoblog.de berichteten). Dieser hatte eine CD des Liedermachers und Evangelisten Jörg Swoboda (Liedtexte online) rezensiert und dabei klar Stellung für die biblische Sexualethik bezogen. Dies brachte ihm von seinem eigenen Vorgesetzten, Michael Diener, den Vorwurf der Diskriminierung anderer Lebensformen ein. Ich habe einige Argumente aus den Diskussionen einander gegenübergestellt. Ich bin überzeugt, dass diese Argumente in den nächsten Jahren in vielen Freikirchen widerhallen werden.

Links stehen die Argumente des Post-Evangelikalismus; ich vertrete die m. E. klassische Position des Evangelikalismus. Achtung: Die links-/rechts-Darstellung dient nicht der politischen Orientierung – ein Lächeln huscht über mein Gesicht.

Andersdenkende werden als lieblos abqualifiziert. Die Speerspitze: „Glauben Sie im alleinigen Besitz der Wahrheit zu sein?“

Auf dieses Totschlagargument habe ich ausführlich im Aufsatz „Das Schreckgespenst des lieblosen Dogmatismus“ Stellung genommen.

(Gelebte) Homosexualität ist keine Sünde.

So wie man "zeigen" kann, dass gelebte Homosexualität keine Sünde ist, kann man auch "zeigen", dass Lieblosigkeit keine Sünde ist.

Es ist diskriminierend, andere Lebensformen zu verurteilen.

Angenommen, Person A sagt; "Bankraub ist unbiblisch.“ Person B erwidert: "Ich diskriminiere Bankräuber nicht. Es ist ok, wenn Bankraub legal ist." 

Darauf antwortet A: "Danke, Person B, dass Sie wenigstens bereit sind, den Leuten zuzuhören", und "Danke, Person B, dass Sie wenigstens versucht haben, den Lebensumständen des Bankräubers gerecht zu werden.“

Wenn wir die Qualität des Glaubens von Mitchristen danach beurteilen, was sie von Lebensordnungen halten, sind wir auf einem Irrweg.

Die Ordnungen sind im Mittelpunkt der biblischen Ethik. Soll diese Ethik dahingehend aufgelöst werden, dass der Einzelne wichtiger ist als das göttliche Gebot? Die gleiche Argumentation ließe sich gegen jedes biblische Gebot anwenden.

Wir müssen Familien in anderen Lebensumständen versuchen gerecht zu werden. Dafür müssen wir vor allem bereit sein zuzuhören.

Bereitschaft zum Zuhören reklamiert jeder für sich. Es geht darum, wer nach dem Zuhören noch an der Bibel festhält. Angesichts biblischer Maßstäbe fragt sich, ob der Mensch mit seinen Wünschen oder der biblische Maßstab Vorrang hat.

Ein Teil der Evangelikalen bewegen sich ins politisch rechtsradikale und sektiererische Abseits.

Das christliche Familienbild, das die Kirche 2000 Jahre aufrechterhalten hat, wird vom Säkularismus als heutige geltender Ersatzreligion torpediert. Diese Position ist mittlerweile von Landeskirchen übernommen worden. Weil das offiziell geltende Dogma gedreht hat, sind die Bibelgläubigen in der Beweispflicht. Nur wird die Interpretation ihrer Quelle (die Klarheit der Schrift) nicht anerkannt wegen dem säkularen Hauptdogma: Zwei einander widersprechende Überzeugungen müssen gleichwertig nebeneinander stehen.

Es gibt vollständige Familien, in denen sich das Elend von Jahr zu Jahr vergrößert, und zerbrochene Familien, in denen es nicht besser steht.

Aus dem "Ist"-Zustand – so und so leben die Leute – kann kein "Sollen" abgeleitet werden. Das bedeutet: Wenn sich die Leute eh nicht an die Bibel halten, können wir den Maßstab ja auch gleich aufgeben.

Ebenso kann eine Sünde nicht mit einer anderen Sünde gerechtfertigt werden.

Wir müssen von der Liebe und Hoffnung sprechen, sonst stoßen wir die Menschen vor den Kopf.

Ohne Anerkennen des eigenen Elends gibt es keine Rettung. Dies ist ja gerade die Botschaft des Evangeliums (siehe „Die tragenden Balken unseres Glaubens“). Die innere Veränderung geht der innerweltlichen Verbesserung voraus.

 

Fazit: Es macht sich seit einigen Jahren eine toxische Mischung in unseren Gemeinden bemerkbar. Zentrale biblische Positionen wurden an Ausbildungsstätten aufgegeben oder zumindest der Diversität der Spezialisten-Meinungen preisgegeben (der zentrale Platz des stellvertretenden Sühneopfers von Jesus Christus, die Klarheit der Bibel als Gottes Offenbarung, die Frage nach der Verbindung Gottes Souveränität und Vorsehung, die Be-Deutung der Sünde, der Kirche als korrigierende und schützende Institution und daraus hervorgehend das Verständnis von ethischen Fragen sowie das Verhältnis der Verkündigung von Gericht und Rettung vs. innerweltliches Engagement; ausführlicher habe ich im Aufsatz „Wie sollen wir als Christen im 21. Jahrhundert leben?“ Stellung bezogen).

Diese Pluralität der Meinungen widerspiegelt sich in thematischen statt Bibeltext-orientierten Predigten, ebenso im christlichen Buchmarkt und in der mittlerweile stark säkularisierten Seelsorge.  Der autonome Gottesdienstkonsument, von klein auf geprägt durch die Überzeugung, dass jeder seine eigenen Überzeugungen haben kann – solange sie seine eigenen Entscheidungen rechtfertigen -, wählt sich seine Vorlieben aus.

P. S. Ein allfälliger Update/Erweiterung der Argumente folgt.