Kolumne: Privatunterricht während des Umzugs

Von "Leben und Lernen in Rumänien" wurde mir die Frage gestellt, wie wir den (Privat-)Unterricht während der Phase des Umziehens gestalteten. Hier sind meine Überlegungen:

  1. Die wichtigste und grundsätzliche Entscheidung lag darin, dass wir unsere Kinder ganz in das Unternehmen einbeziehen wollten. Ich erlebe es als einen krassen Mangel von uns Westlern, dass den Kindern zu viel Verantwortung entzogen wird. Im Bild gesprochen wird das Wasser des Flusses mit viel Aufwand umgeleitet. Dabei ist es ja gerade eine Lerngelegenheit, eine solche Veränderung gemeinsam durchzustehen.
  2. Es ist selbstredend unmöglich, den gesamten Unterrichtsstoff und alle Gewohnheiten unverändert beizubehalten. Das bedeutete, dass wir die gesamten Tätigkeiten der Kinder genau anschauten und mit ihnen zusammen priorisierten: Was sind die Kerntätigkeiten, die jeden Tag absolviert werden müssen? Das allein genügte jedoch nicht. Wir prüften wiederholt nach, ob die auferlegten Aufgaben auch bewältigbar waren.
  3. Es braucht unbedingt Zeit und Raum für die Charakterentwicklung. Ich nenne einige Beispiele: Wer rutscht in die Opferrolle? Wer benützt die Turbulenzen, um sich vor Arbeiten zu drücken? Wer überfordert sich? Wer gerät in die Handlungsunfähigkeit bzw. Ohnmacht? Das sind bedeutsame Erfahrungen, die reflektiert werden wollen. Diese Reflektion kann auf verschiedene Arten geschehen: Im direkten Gespräch, im Gebet, durch einen schriftlichen Bericht, durch ein Gespräch mit erfahrenen Freunden.
  4. Die unterschiedlichen Entwicklungsstände und Begabungen sollen miteinbezogen werden. Das bedeutet: Bei jeder Tätigkeit fragten wir uns, ob und wer mithelfen kann. Meine Jungs haben unglaublich viel angepackt. Sie schleppten, packten, putzten, bauten ab und auf, waren Handlanger. Die einen konnte ich eher als Ansprechpartner für Ideen einsetzen, andere bei der Beziehungsgestaltung, die dritten beim Handanlegen. Zwischendurch konnte ich auch experimentieren: Was passiert, wenn wir die Rollen tauschen bzw. ein Junge etwas tun muss, was nicht in seinen Stärken liegt?
  5. Wir bemerkten, dass sich während den acht Wochen des Umzugs z. T. neue Gewohnheiten herausbildeten. Die Jungs halfen sich beim Lernen mehr aus, Einzelne wurden selbständiger (z. B. beim Klavierüben). Nach dem Umzug gucken wir wieder genau hin, denn es schleichen sich natürlich nicht nur gute Gewohnheiten ein.
  6. Es zeigte sich erneut, wie wichtig zunehmende Selbständigkeit der Kinder ist. Mit Vor- und Nachbesprechung waren die Jungs in der Lage Erstaunliches zu leisten, sowohl inhaltlich wie auch mengenmässig. Wir hatten sogar den Eindruck, dass sie während den Wochen der Umstellung selbst in einen Modus des Ausnahmezustands gingen.
  7. Meine Frau sprach immer wieder von "Flexiblitätstraining". Die Übungs- und Schlafzeiten verschoben sich teilweise. Das Essen schmeckte nicht immer so lecker, denn wir bauten über zwei Monate unsere Essensvorräte ab. Das fördert die Widerstandsfähigkeit der Einzelnen.
  8. Einzelne äusseren Bedürfnisse. So machten wir immer wieder Ausnahmen: Ein Bub bekam neue Kleidung, der andere einmal ein besonderes Essen. Wir konnten nicht alle über den gleichen Leist schlagen. Das schätzten sie sehr.
  9. Über Ängste und Erwartungen muss diskutiert werden: Wann und weshalb fühlen wir uns unsicher? Was erwartet uns? Was lassen wir zurück? Diese Momente sind nur teilweise planbar. Oft nutzten wir kurze Pausen oder Momente zu zweit, um solche Fragen zu stellen. Es gehören Momente der Niedergeschlagenheit und der Erschöpfung dazu ("ich möchte gar nicht mehr umziehen").
  10. Ich kann mich an keine Phase unserer Geschichte als Familie erinnern, in der wir so intensiv gebetet haben. Unser Motto: Wir strecken von Stunde zu Stunde unsere leeren Hände aus. Wir bringen unsere Nöte, wir erzählen unsere Engpässe, wir danken für Entlastung. Auch unser Jüngster rief staunend aus: "Jetzt hat uns Gott so tolles Wetter beim Umziehen geschenkt."
  11. Es gab immer wieder Dinge, auf die wir uns freuen konnten. Eine neue Umgebung bringt neue Möglichkeiten mit sich. Es hilft, sich diese Möglichkeiten vor Augen zu führen und wertzuschätzen. (Auch das Umgekehrte ist wichtig: Enttäuschungen und Verluste zu thematisieren. Zum Beispiel mussten sich die Buben von Möbeln trennen, die nicht ins neue Haus passten.)
  12. Umbruchsituationen reduzieren das Nervenpolster. Es entsteht schneller Streit. Wir waren froh um Entlastung durch treue Helfer und Beter.
  13. Beim Nachdenken kam mir die Idee, parallel eine Lebensgeschichte mit Umbrüchen in der Bibel zum Thema zu machen: Abraham, die Wüstenreise oder Daniel. Was waren Versuchungen, Rückschläge, aber auch Siege und Wachstumsschritte?
  14. Viele Freunde und Bekannte fragten uns zuerst: Ist es jetzt grösser, besser, schöner? Das offenbart unsere Denkweise: Nur die Steigerung bringt Befriedigung. Das stimmt so nicht. Reduktion kann von Mehraufwand entlasten. Engpässe verdeutlichen die Abhängigkeit von Gott.

Ein Freund hat es treffend zusammengefasst: "Jetzt habt ihr einfach das Thema 'Umzug' im Unterricht." Gerade die Form des Privatunterrichts bietet die Chance, Anfragen des Lebens als Lerngelegenheit direkt einzubeziehen.