Kolumne: Die naiven Annahmen christlicher Eltern

In den USA gibt es eine Bewegung "Exodus Mandate". Deren Motto, angelehnt an die Sklaverei in Ägypten: Lasst unsere Kinder gehen! Das will heissen: Nehmt sie aus den staatlichen Schulen. Unterrichtet sie selbst und/oder gründet christliche Schulen, zumindest für den ersten Teil der Ausbildung.

Ein mildes Lächeln huscht über dein Gesicht? Ja, wahrlich, wir sind stolze, selbstzufriedene Europäer. Anstatt sich über die Amerikaner zu amüsieren, überlegen wir uns doch mal unsere fromme Lebensrealität. Lebensziel ist Lebensstil. Unserem Leben ist abzulesen, welche Ziele wir ansteuern. Diese Annahmen meine ich entdeckt zu haben:

  1. Die Lehrer sind um das Fortkommen des Kindes bekümmert.
  2. Wir sind froh um die zeitliche und inhaltliche Entlastung.
  3. Es lernt soziale Kompetenz im Umgang mit anderen Gleichaltrigen.
  4. Wir haben das Kind lieb, wenn wir es annehmen, wie es ist.
  5. Wir wollen auf keinen Fall, dass es – wegen Kleidern, elektronischen Gadgets, verpassten Filmen und Events etc. – zum Aussenseiter wird.
  6. Das Kind ist "Licht für Jesus" in seiner Klasse.
  7. Ab und zu laden wir Kinder und/oder Eltern zu "lässigen Events" in der Kirche ein und zeigen ihnen, dass wir nicht so verbohrt sind, wie sie denken.
  8. Bezüglich Online-Präsenz haben wir eine Regelung getroffen, die mal mehr, mal weniger eingehalten wird.
  9. Die Frage der Sexualität sehen wir nicht so eng. Freunde übernachten bei unseren Heranwachsenden.
  10. Es existiert in der Realität kaum ein Gespräch über geistliche Dinge. Die geistlichen Disziplinen werden weder von Eltern noch von Kindern gepflegt.

Diese Lebenshaltung ist doch komplett säkular geprägt, mit einem dünnen frommen Zuckerguss überzogen! Denn:

  1. Inhalte können delegiert werden. Doch die Eltern sind verantwortlich für die charakterliche Entwicklung des Kindes.
  2. Wenn die Entlastung nur dem eigenen beruflichen Weiterkommen und grösserem Freiraum für die Freizeitgesellschaft dient, erweisen wir den Kindern einen Bärendienst.
  3. Ein Kind, das früh von den Eltern hinausgestossen wird, entwickelt eine innere Unsicherheit, die sich im Umgang mit Gleichaltrigen, die ebenfalls ungefestigt sind, verstärkt. Es wirkt nach aussen "reif", doch bleibt innerlich instabil.
  4. Gott nimmt uns nicht an, wie wir sind. Er liebt uns aus reiner Gnade, wenn wir noch Sünder sind und nimmt uns allein in Jesus Christus an.
  5. Die ständige Anpassung an die Umgebung ist eine falsche Form des Anbiederns. Weshalb stehen wir nicht auf und bilden mutig kleine Gegenkulturen?
  6. Wie bitte? Ungefestigte Heranwachsende als Boten nach aussen schicken? Diese Aufgabe fällt zuerst und Erwachsenen zu. Wir sollen sie zurüsten!
  7. Wir versuchen immer noch, andere mit Programmen zu ködern. Dahinter steckt die (falsche) Annahme, dass wir zeigen müssen, dass wir auch so sind wie die anderen.
  8. Die Online-Welt übt einen massiven Einfluss auf Denken und Handeln der Kinder aus. Es prägt ihren (und unseren) Alltag. Dies muss Dauerthema in unseren Familien sein.
  9. Die Sexualethik ist zugegeben ein Reizthema. Sie fördert jedoch nur beispielhaft zu Tage, welches Verständnis wir vom christlichen Glauben haben. Paulus sagt deutlich, dass wir in diesem Bereich zeigen, ob wir Gottes Willen befolgen (1. Thessalonicher 4).
  10. Wir können uns leicht mit zu hohen Ansprüchen überfordern. Geistliche Gewohnheiten bilden sich wie übrige Gewohnheiten: Durch verkraftbare Einheiten und häufige Wiederholung.

Ich komme zunehmend zur Überzeugung, dass wir Eltern – ich rechne mich selbstverständlich dazu – unglaublich naiv sind. Um unsere Kinder tobt ein geistlicher Kampf. Dieser ist schon entschieden, wenn wir sie gedankenlos der säkularen Umgebung ausliefern. Mit einigen Dosen an Moralin und einem verschwommenen "Gott liebt dich, wie du bist" sind sie schutzlos dem Sog der Umgebung ausgeliefert. Wir schicken sie mit ein paar pauschalen Bemerkungen und Schlagworten auf das harte Spielfeld. Eltern und Gemeinde kommt die Aufgabe zu, sie liebevoll in der harten Realität zu begleiten. Das soll nicht den Eindruck erwecken, dass sie WEGEN unseren Bemühungen einen anderen Weg einschlagen. Vielmehr sind wir von Gottes souveräner Gnade überzeugt und deshalb für seine Sache hingegeben.

Ich wünsche mir solche Projekte wie das "Exodus Mandat". Dringend! Zuerst einmal brauchen wir Eltern selbst eine geistliche Aktivierung. Nicht nur christliche Schulen braucht unser Land, sondern auch: Elternkooperativen, die sich mit Lehrmitteln und der Online-Seuche beschäftigen; Gesprächskreise mit dem Thema, wie Heranwachsende ihre Lebenszeit sinnvoll einsetzen; Predigtreihen, Seminare etc. zur Auseinandersetzung mit der Gegenwartskultur. Am allerwichtigsten ist jedoch das geistliche Leben innerhalb der Familie – anhaltendes Gebet, das Lesen der Bibel, die Anwendung auf aktuelle Problemstellungen am Familientisch.