Kolumne: Ich habe es vergessen

1. Früh lernt' ich es im Lebensprogramm:
Was ich wollte, war Leitstern.
Ich muckste und es wurde mir beschieden.
Ich quengelte und es geschah mir.
Später dann, in zartem Alter,
musst' ich meine Strategie ändern.
Kam ein Anspruch auf mich zu,
sagte ich artig: "Ja."
Und dachte: "Nein."
Ich schlaufte mich aus,
ging auf die Toilette.
"Mache es gleich" und liess es liegen.
Trainierte mich in Verzögerung.
Angesprochen auf das Nicht-Einhalten,
gab es die Zauberantwort:
"Ich habe es vergessen."
Dann wurd' ich in Ruh gelassen.
So gewöhnt' ich mir ein doppeltes Leben an.
"Hab's vergessen."
Kleine Pflichten,
überblickbare Aufgaben.
Sorgte für die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung.
Mein Wille war mir Befehl.
Unangenehmes blieb auf der Strecke.

2. Als ich äusserlich erwachsen war,
blieb ich auf der Strasse des Vergessens.
Sie wollte mehr schlecht als recht mehr funktionieren.
Nur gerade das, was ich wirklich wollte,
wo der Druck genügend gross war,
dafür brachte ich die Kraft auch wirklich auf.
Nicht alle Vergessenden kamen durch.
Die einen nahm es in der Lehre,
die anderen im Studium.
Sie vergassen und wurden vergessen.
Sie liessen es sein und wurden sein gelassen.
Doch happig erst
wurde es im Beziehungskontext.
Was ich will, das hol' ich mir.
Was ich begehr, muss sofort sein.
Wenn nicht?
Dann liess man es vergessen.
Der Sand im Beziehungsgetriebe
rieb bis zur Auflösung.

Verfluchtes Doppelleben.