Stationen meines Aufwachens (1): Schreiende Gans oder blökendes Schaf?

2017 las ich in Blogs wiederholt: Der Evangelikalismus – was immer auch der Begriff bedeuten mag ("Den Begriff 'evangelikal' verabschieden?") – steckt in einer tiefen Krise bzw. vor einer grundlegenden Entscheidung. Dem stimme ich zu. Ich greife in einer 10-teiligen Serie die Stationen meines Aufwachens auf und bete darum, dass viele Christen die Argumente sorgfältig anhand der Bibel prüfen und den Mut haben, Konsequenzen zu ziehen.

Schreiende Gans oder blökendes Schaf? Die Lehre der Kirche

Es war im Jahr 2009, als in meiner damaligen Gemeinde das Buch "Der Schrei der Wildgänse" zum Jahresbestseller avancierte. Ich war damals im Schlussspurt meines Theologie-Studiums und schrieb empört die Replik "Ich will nicht mehr zur Kirche gehen", die als mein erster Artikel in der Zeitschrift Bibel und Gemeinde (1/2010) erschien. Ich ging den Fragen nach:

  • Wer war Jesus wirklich?
  • Welche Bedeutung hat der Tod von Jesus?
  • Wie erleben wir Gottes Führung?
  • Kirche: Organismus oder Organisation?

Wenn ich acht Jahre später mein Fazit bedenke – "Die einen werden ein neues System bauen, die anderen werden über kurz oder lang dem Glauben den Rücken kehren." – muss ich leider beiden Auswirkungen zustimmen.

Aus einem Seminar in der Gemeinde "Schreiende Gans oder blökendes Schaf?" entstand ein längerer Text, der von Francis Schaeffers Begriffen "Form" und "Freiheit" her die Notwendigkeit der Kirche als Institution begründet: "Form und Freiheit – ihre Bedeutung für die Kirche". Ich zitiere darin Dietrich Bonhoeffer:

Wer an einer christlichen Gemeinschaft, in die er gestellt ist, irre wird und Anklage gegen sie erhebt, der prüfe sich zuerst, ob es nicht eben nur sein Wunschbild ist, das ihm hier von Gott zerschlagen werden soll, und findet er es so, dann danke er Gott, der ihn in diese Not geführt hat. Findet er es aber anders, dann hüte er sich doch, jemals zum Verkläger der Gemeinde Gottes zu werden; sondern erklage viel mehr sich selbst eines Unglaubens an, der bitte Gott um Erkenntnis seines eigenen Versagens und seiner besonderen Sünde, der bete darum, dass er nicht schuldig werde an seinen Brüdern, der tue in der Erkenntnis seiner eigenen Schuld Fürbitte für seine Brüder, der tue, was ihm aufgetragen ist und danke Gott.

Es erstaunt mich nicht, dass auf theoblog.de unter dem Eintrag "Wir sind die Kirche! Wirklich?" eine kontroverse Diskussion geführt wurde.

Die Faszination der Hütte: Die Gotteslehre

Ein Buch kommt selten allein. Es gesellte sich ein zweites dazu. Eine Dame belieferte die Gemeindemitglieder kistenweise. Michael Kotsch hat eine engagierte Kritik "Die Hütte: Trost und Esoterik" geschrieben. In einem weiteren Seminar "Einen ausgewogenen trinitarischen Glauben leben" suchte ich hier ein Thema in allen Lebensbereichen zu konkretisieren, das ebenfalls sträflich vernachlässigt worden ist: Die Gotteslehre. Die Unterlagen basieren auf einem kurzen Buch meines Doktorvaters Thomas K. Johnson "What Difference Does the Trinity Make?" (Besprechung). Arthur Pink schreibt:

Wollte ich in umfassender Form beschreiben, was nach  meinem Bibelverständnis die Seligkeit der Kinder Gottes auf Erden ausmacht, … so würde ich ohne Zögern antworten: Es ist ihre persönliche Erkenntnis der Personen der dreieinigen Gottheit und ihr Gemeinschaft mit ihnen.

Zur Hölle mit der Hölle? Die Lehre des Heils

Aller guter Dinge sind drei. Rob Bells "Love Wins" eroberte die Gemeinden ebenfalls im Sturm. Tim Challies Kritik wurde übersetzt. Auch die ausführliche Antwort von Kevin DeYoung "God Is Still Holy and What You Learned in Sunday School Is Still True" war ausserordentlich hilfreich.

Meine Antwort "Zur Hölle mit der Hölle" erschien wiederum in der Zeitschrift Bibel und Gemeinde 4/2011. Meine Schlussfolgerung:

Bei der Frage der Hölle geht es um viel; es geht um den Kern des Evangeliums.

Erstauntes Augenreiben

Innert kürzester Zeit war ich mit drei Grundfragen des Glaubens konfrontiert: Der Gotteslehre, der Lehre des Heils und der Lehre der Kirche. Es fiel mir auf, dass hier Irrlehren aus der Kirchengeschichte aufgekocht in zeitgenössischer Verpackung erschienen. Ich konnte nur eine Erklärung dafür finden: Wir haben zu lange darüber geschwiegen bzw. diese als selbstverständlich vorausgesetzt.