Buchbesprechung: Über den Schmerz

C. S. Lewis. Über den Schmerz. Brunnen: Giessen/Basel, 2012 (8. TB-Auflage). 157 Seiten.  Euro 7,95.

Ein Buch eines ängstlichen Menschen

1940 hat C. S. Lewis sein erstes apologetisch ausgerichtetes Buch herausgebracht. Für diese Bücher ist er später in christlichen Kreisen so bekannt geworden. Lewis erlebte in seinem späteren Leben grossen Schmerz durch den Verlust seiner Frau Joy und – nach seinem eigenen Zusammenbruch Ende der 40er-Jahre – auch am eigenen Körper. Dazu kam die innere Ermüdung durch Überarbeitung sowie der Schatten des frühen Verlusts der Mutter und einer problembehafteten Beziehung zum Vater. Lewis merkt jedenfalls schon zu Beginn an: „Ich habe mich niemals – nicht für einen Augenblick – in einem Gemütszustand befunden, dass nicht schon die blosse Vorstellung ernsthaften Schmerzes mir schlechthin unerträglich gewesen wäre.“ (7) „Du möchtest wissen, wie ich selbst mich benehme, nicht wenn ich ein Buch über den Schmerz schreibe, sondern wenn mir Schmerz widerfährt. Du brauchst nicht lange zu raten, denn ich will es dir sagen: Ich bin ein grosser Feigling.“ (105)

Das Christentum schafft erst das Problem des Schmerzes

Lewis beginnt mit folgender Ausgangslage: „Ihre Geschichte ist weithin ein Register von Verbrechen, Krieg, Krankheit und Terror, mit nur gerade soviel eingestreutem Glück, ihnen, solange es währt, die Angstvorstellung des Verlustes zu gebe, und wenn es verloren ist, den brennenden Schmerz der Erinnerung.“ (10) Zwar würde Schmerz durch den Fortschritt der Zivilisation gelindert, die aber gleichzeitig neue Arten des Schmerzes schüfe. Das Christentum schaffe in gewissem Sinn das Problem des Schmerzes erst. „… der Schmerz wäre kein Problem hätten wir nicht, vergraben in unsere tagtägliche Erfahrung mit dieser schmerzerfüllten Welt, … die … gültige Versicherung empfangen, die letzte Wirklichkeit sei voll Gerechtigkeit und Liebe.“ (20-21) Schön, dass Lewis am Schluss des Buches eben die letzte Wirklichkeit des Himmels wieder aufnimmt.

Im Fluss von Fragen und Antworten

Das Buch besteht aus einem Bandwurm von aufgeworfenen Fragen, Argumenten und Beispielen, denen Lewis folgt. Ich folge diesem Lauf im Groben. Eben dieses Wissen um eine letzte Wirklichkeit, ausgedrückt durch eine „ehrfürchtige Scheu“ (13) sowie durch eine „allgemeine Sittlichkeit“, deren Verwirklichung den Menschen aber nicht gelingt (18), lässt nur zwei Möglichkeiten offen: Entweder ist diese den Menschen gemeinsame Erfahrung ein Hirngespinst oder aber eine unmittelbare des unmittelbar Übernatürlichen (16-17).

Fehlt es Gott an Güte oder an Macht?

Ein erster grosser Einwand lautet: „Wenn Gott gut wäre, würde Er seine Geschöpfe vollkommen glücklich machen wollen; und wenn Gott allmächtig wäre, würde Er imstande sein, zu tun, was Er will. Nun aber sind die Geschöpfe nicht glücklich. Darum fehlt es Gott entweder an Güte oder an Macht oder an beidem.“ (23) Die Tatsache der Allmacht Gottes hat Lewis schnell hergeleitet, doch: „Wie haben wir uns diese Gutheit und jenes Leiden ohne Widerspruch vorzustellen?“ (33)

„Gott ist Gutheit. Er vermag das Gute zu geben; aber es ist undenkbar, dass Er seiner bedürfte oder es erst erlangte.“ Seine Liebe ist deshalb „bodenlos uneigennützig“. Gott bedarf seiner Menschen nicht, also ist es „einzig die göttliche Allmacht … in voller Freiheit und in einer Herablassung, die alles Verstehen übersteigt. Wenn aber die Welt nicht vor allem deshalb existiert, damit wir Gott, sondern damit Gott uns lieben könne…“ (48-49) Es braucht etwas Zeit, um die Gedankengänge nachzuvollziehen.

Die erste Antwort lautet: Der Liebende fügt dem Geliebten möglicherweise Schmerz zu, „aber nur unter der Voraussetzung, dass der Geliebte der Wandlung bedarf, um ganz liebenswert zu werden.“ (53) Dafür müssen wir ganz bestimmt unsere menschliche Vorstellung vom lieben Gott als greisem Wohlmeiner (45) fahren lassen.

Menschliche Bosheit als Ursache von Schmerz

Zweitens geht es darum, die menschliche Bosheit als wichtige Ursache von Schmerz zu diagnostizieren. „Die Wiederentdeckung der alten Bedeutung von Sünde ist für das Christentum wesentlich. Christus nimmt als selbstverständlich an, dass die Menschen schlecht sind. Solange wir diese Seine Annahme nicht wirklich für wahr halten, solange werden wir … nicht zu den Hörern zählen, an die Seine Worte gerichtet sind.“ (55) Wir müssen uns auch der Illusion entledigen, dass Zeit allein die Sünde erledigen würde. „Die Schuld wird nicht durch die Zeit abgewaschen, sondern durch das Blut Christi.“ (59) „Von dem Augenblick an, da ein Geschöpf Gott als Gott und sich selbst als ein Selbst erfasst, hat sich die schreckliche Alternative vor ihm aufgetan, entweder Gott zum Mittelpunkt zu wählen oder das Selbst.“ (73) Es gibt während des ganzen Lebens keinen Winkel des Universums, „von dem der Mensch hätte sprechen können: ‚Dies ist unsere Angelegenheit, nicht Deine.‘“ (79)

Für Lewis steht also fest: „Der Mensch hat sich als Gattung selbst verwüstet.“ (87) Vier Fünftel des Schmerzes lassen sich so erklären. „Nicht Gott, sondern die Menschen haben Folter, Peitsche, Gefängnis, Sklaverei, Kanonen, Bajonette und Bomben erfunden. Armut und Überarbeitung sind nicht durch die Kargheit der Natur bedingt, sondern durch menschliche Habgier und menschliche Dummheit.“ (89) Nun bleibt jedoch drittens das Leid übrig, das nicht durch uns selbst bedingt ist.

Schmerz als Megafon Gottes für die taube Welt

Lewis ortet diese Leiden als „Sein Megafon, eine taube Welt aufzuwecken.“ (93) Mancher lebt so lange in seiner Illusion weiter, „bis ihn das Böse unmissverständlich trifft“ (95). Gott nimmt uns das weg, „was sich fälschlich als Quelle des Glückes ausgibt“ (96). Die Selbstgefälligkeit juckt so lange, bis durch Schmerz das ganze Kartenhaus zum Einsturz gebracht wird (106).

Nicht durchs Band gefolgt

Lewis betont, dass er keine Theologe sei, und dass, wenn etwas neu und unorthodox erscheine, man sich besser zu dem wende, was das Christentum seit jeher lehre (8). So lässt er sich beispielsweise nicht auf den Pelagianischen Streit ein (82) – was sicherlich noch einmal anderes Licht auf das Thema geworfen hätte. Wenn er seine Thesen über den Sündenfall und die Entwicklung der Menschheit vorbringt, halte ich mich auch lieber an das, was das erste Buch Mose uns sagt (69ff). Auch dem Argument, dass der Menschen einen freien Willen hat und dass darum „alle Gabe für ihn zweischneidig sind“ und dass daraus folge, „ dass die göttliche Bemühung um die Erlösung der Welt nicht mit einem sicheren Erfolg rechnen kann – was die Erlösung jedes einzelnen betrifft. Einige werden nicht erlöst werden.“ (119) Diesem Argumentationsstrang folge ich nicht. Schliesslich finde ich die „abgeleitete Unsterblichkeit“ von Tieren spekulativ und nicht in der Bibel verankert (143).

Ansonsten hält Lewis jedoch sehr wertvolle Überlegungen bereit. Er korrigiert das Bild von Gott als greisem Wohlmeiner (und unserem vermeintlichem Recht nach pausenlosem Glück und Wohlergehen), bringt deutlich die Sünde ins Spiel, spricht von der Hölle als der definitiven Destination des Schmerzes.

Es gab auch Momente der Betroffenheit, etwa wenn Lewis den „Akt des Bekennens“ als „unendlich flüchtigen heuchlerischen Moment“ beschreibt (58). „Wenn du, obwohl feige, betrügerisch und träge, dennoch einem Mitmenschen noch niemals grossen Schaden zugefügt hast, so nur deshalb, weil deines Nachbarn Wohlergehen mit deiner Sicherheit, deiner Selbstgefälligkeit oder Bequemlichkeit zufällig noch nicht in Konflikt geraten ist.“ (63)

Unser Verlangen nach der anderen Welt

Sehr passend für den Schluss ist das letzte Kapitel „Der Himmel“. „Es gehört zur Liebe, dass sie danach strebt, sich an dem, was sie liebt, zu erfreuen.“ (148) Lewis erzählt meisterhaft von unserem Verlangen nach der anderen Welt. „Alle Dinge, die je unsere Seele im tiefsten ergriffen haben, waren nur Anzeichen davon – Blicke von schmerzlicher Flüchtigkeit, nie ganz erfüllte Versprechen, ein Echo, das sogleich dahinstarb, wenn es unser Ohr erreichte.“ (149) Die Leiden der Jetztzeit sind nicht wert verglichen zu werden mit der zukünftigen Herrlichkeit (Röm 8,18, zit. am Anfang des Kapitels). Schmerzen und Freuden sind für diejenigen, die Gott lieben (weil er sie zuerst liebte), „frühe Einübungen“ in den kommenden Tanz des Himmels (156).

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