Input: Ein Seelsorger über Motive sexueller Sünden und subtile Formen des Kampfes

In seinen neuen, kurzen Büchern zum täglichen Kampf der Heiligung ("Sanctification – How Does it Work?") und zur Wiederherstellung von Freude im Leben von sexuell Gebrochenen ("Making All Things New: Restoring Joy to the Sexually Broken") – beide rezensiert von mir – verfolgt der Seelsorger David Powlison ein überaus interessantes Konzept. Er bringt seine über 40-jährige Seelsorgeerfahrung erzählend ein und verbindet es mit wenigen Modellen sowie vor allem den biblischen Grundlagen. Ich habe David persönlich kennengelernt und vergesse die Begegnung mit ihm nie. Ich wünsche mir, in vorgerücktem Alter etwas von seiner Klarheit und Milde von Jesus bekommen zu haben. Ich bin mir bewusst, dass das mit einem überaus grossen "Abrieb" verbunden sein wird. Powlison meint: Anfänger denken, dass der Anfang ungeheuer schwer sei; doch erst im Fortschreiten wird uns bewusst, dass der Weg zunehmend anspruchsvoller wird.

Im Kapitel "Der Kampf geht tiefer" stellt David verschiedene Motive vor, die sexuellen Sünden vorangehen. Er nennt:

  1. Wütender Wunsch nach Rache: Nach einem Streit betrügt zuerst der Mann die Frau und nachher die Frau den Mann.
  2. Der dringende Wunsch geliebt, bestätigt und gewertschätzt zu werden durch romantische Aufmerksamkeit. Eine junge Frau lässt sich deshalb auf zahlreiche Beziehungsabenteuer ein.
  3. Ein aufregendes Begehren nach Macht und "Erfolg" bei der Jagd: Ein Mann spielt seine Verführerkünste aus.
  4. Existenzangst und Kampf mit dem Geld: Eine geschiedene Frau lässt sich gegen sexuelle Gefälligkeit mit ihrem Vermieter ein.
  5. Fehlgeleitetes "messianisches" Hilfeleistungsbedürfnis: Ein Pastor hat "Erbarmen" mit einer Witwe, eine Jugendarbeiterin mit einem Heranwachsenden aus schwierigen Verhältnissen.
  6. Begehren nach einem Ventil durch den strengen Alltag: Nachdem ein verheirateter Mann wochenlang gegen 80 Stunden gearbeitet hat, steht ihm nach Projektabschluss eine "freie Nacht" bevor. Er verbingt sie im dunklen Netz.
  7. Gleichgültiger Zynismus: Welche Rolle spielt es jetzt noch, wenn ich … mich auf einen One-Night-Stand einlasse?

Powlison vergisst auch die Seite der Opfer nicht. Er nennt beispielhaft folgende Motive:

  • Ich schaffe durch Vermeidung einen Panzer und bin nie verletzlich. (Statt: Der Herr ist meine Zuflucht, Ps 11,1; 18,2; 73,28; 91,9)
  • Ich trachte nach Vergeltung. (Statt: Räche dich nicht selbst, Röm 12,9)
  • Ich halte verzweifelt nach jemandem Ausschau, der mich liebt. (Statt: Fürchte dich nicht, ich bin mit dir, Jes 41,9)
  • Ich kaufe mir wundervolle Kleider und eine Menge anderer Gadgets, um etwas darstellen zu können. (Statt: Seht auf die Lilien, Mt 6,28)
  • Ich wiederhole innerlich mantraartig Gedanken, die mich im Selbstwert bestärken sollen. (Statt: Wenn Gott für uns ist, wer kann wider uns sein? Röm 8,31)
  • Ich nehme Medikamente und/oder Alkohol ein, um den  Schmerz zu betäuben. (Statt: Der Vater allen Trostes tröstet mich, 2Kor 1,3-4)
  • Ich gebe mich der Hoffnungslosigkeit und dem Zynismus hin. (Statt: Setzt eure Hoffnung völlig auf die Gnade, 1Petr 1,13)

Etwas später geht Powlison dann darauf ein, dass die Erneuerung in Christus einen immer subtileren Kampf mit sich bringt. Er beschreibt verschiedene "Stufen":

a) Sünden mit hohen Folgekosten und hohem Energieaufwand zum Beenden wie Prostitution, Ehebruch, gleichgeschlechtliche Sexualität oder sexuelle Kriminalität in jeder Form. Sie sind einfacher zu erkennen und bringen einen tiefen Einschnitt ins Leben.

b) Sünden mit (angeblich) tieferen Folgekosten und auch tieferem Initialaufwand: Hier geht es um Sünden, die wir verborgen halten können. Vorab zu nennen ist die Pornografie. Es handelt sich um eine Sünde mit langfristig verheerenden (und kurzfristig scheinbar unbedeutenden) Folgen. Der Einschnitt mag weniger tief sein, doch der Kampf um Reinheit muss ungleich hartnäckiger geführt werden.

c) No effort-Sünden: Es geht um den Kampf mit Erinnerungen. Frühere Vorfälle und Bilder tauchen in uns auf. Wenn wir ihnen nachgeben, halten wir die Erinnerung (samt Gefühlen) wach.

d) Sünden, die uns suchen: Es geht auch ganz anders. Du bist auf dem Netz am Suchen nach einem vergriffenen theologischen Werk. Du schaust dir einen Film an, dann kommt plötzlich diese (scheinbar unbedeutende) Szene. Du stehst im Geschäft und der junge Mann beginnt zu flirten. Du fährst zur Arbeit und erblickst eine Werbefläche. Und plötzlich springt dich die Versuchung an!

e) Atmosphärische Sünden, die du kaum bemerkst: Es gibt viele Gewohnheiten in Gedanken, die dir gar nicht so bewusst sind. Du musterst ohne Gedanken Menschen und du hörst eine Stimme.

Diese beispielhafte Aufzählung zeigt, wie der Anspruch an den Kampf in den Gedanken zunimmt. Es geht darum, unsere Gedanken unter den Gehorsam von Christus zu stellen. Umgekehrt gesagt: Die offensichtlichen Sünden sind oft Folgen von langjähriger gewohnheitsmässiger Sünde, die verborgen bleibt und erst mit der Zeit an die Oberfläche kommt!