Zitat der Woche: Bullinger über das Buch der Offenbarung

Heinrich Bullinger (1504-1575) hat sich lebenslang sehr für das Buch der Offenbarung interessiert. Der Zürcher Reformator hat 101 Predigten zwischen dem 21. August 1554 und dem 29. Dezember 1556 jeweils am Dienstag im Großmünster zum letzten Buch der Bibel gehalten. Das gedruckte Werk widmete er “allen, die in Deutschland und in der Eidgenossenschaft wohnen, aus Frankreich und England, aus Italien und andern Königreichen und Nationen um Christi willen vertrieben sind, ebenso allen Gläubigen, wo sie auch wohnen und auf die Wiederkunft unsres Herrn Jesus Christus warten”. In den ersten zehn Jahren nach dem Erscheinen erschienen 16 Auflagen in fünf Sprachen. Büsser fasst die Aktualität so zusammen: “In den unzähligen Wirren und Nöten der Zeit, in Krieg, Krankheit, Hunger und Tod, im Ansturm der Türken, in Irrtum und Aberglauben, vor allem aber im religiösen Aufbruch meinten die Menschen damals in ganz Europa sichere Anzeichen dafür erkennen zu können, daß der Jüngste Tag nicht mehr fern sei.” Wie in allen Kommentaren gibt der Reformator auch in den Apokalypse-Predigten grundsätzlich eine fortlaufende Erklärung des Bibeltextes. Zum besonderen Charakter der Visionen schreibt Bullinger:

Was wollen wir dazu sagen, dass der Herr im Evangelium dem Volk die meisten Geheimnisse durch Gleichnisse und Bilder vorgestellt und erklärt hat? Was für ein Unterschied besteht denn zwischen den Gesichten und Bildern Jesu und des Johannes?… Diese Art der Sprache verdunkelt die Dinge nicht, sondern macht sie klar; sie hilft viel, etwas heiterer und verständlicher zu machen und stärkt auch das Gedächtnis. Auf diese Weise werden die Dinge nicht allein mit Worten erzählt und gehört, sondern auch vor Augen gestellt.

Welche Bedeutung hat das Buch für das Gottesvolk? Bullinger schreibt,

dass die Kirche, so lange sie auf dieser Welt ist, um des Herrn Christus und des Bekenntnisses der Wahrheit willen viel und mancherlei zu leiden haben wird. Johannes offenbart in grosser Klarheit nahezu alles, auch im einzelnen, wie die Kirche durch allgemeine Trübsale (Krieg, Krankheit, Hunger und dergleichen) geübt wird und wie sie im besonderen von falschen Brüdern, durch Ketzereien und Trennungen, durch langwierige und schwere Streitigkeiten sowie durch Verfälschung des Glaubens zu erdulden hat, wie grimmig sie das alte Römische Reich durch grausame Verfolgungen, zuletzt der Antichrist mit schnöder Arglist und grösster Tyrannei peinigen und plagen wird. Das alles zielt allein dahin, dass die Erwählten, genügend vorgewarnt und bereit, allzeit (so lange die Welt steht) und allein dem Herrn Christus, ihrem Erlöser, dem einzigen und ewigen König und Hohepriester in wahrem Glauben anhangen…

Die Tröstung eines Ältesten im Thronsaal Gottes (Offb 4+5) dient dazu

dass alles Klagen, Weinen, Brummen, die mancherlei Anfechtungen und die Unruhe unseres Herzens nicht gestillt, gesetzt und zur Ruhe gebracht werden können, es sei denn, wir sähen und glaubten (was hier heiter und klar angezeigt wird), dass Christus von Gott, seinem Vater, alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist; dass er von Gott, dem Vater, verordnet ist als einziger Erlöser, ebenso als Haupt, Fürst und Regent der Dinge. Er soll unter dem Siegel der Treue (fidei) und Wahrheit alle von Gottes Vorsehung verordnete Dinge regieren und verwalten; er soll die Geheimnisse von Gottes Gerichten offenbaren, so weit das nützlich und gut ist. Wenn wir das aufrichtigen Herzens glauben, werden wir ein ruhiges Gewissen haben bei allem, was Gott tut, selbst wenn das hart ist und von der Mehrzahl für unbillig gehalten wird. Wir wissen, dass der, durch den alles verwaltet wird, unseres Geschlechts, ja unser Bruder und darum von Herzen zugeneigt ist. Er hat für uns den Tod erlitten; er hat in der Welt nichts lieber als den Menschen und hat darüber hinaus Teufel und Hölle überwunden,

Fritz Büsser. H. Bullingers 100 Predigten über die Apokalypse. Zwingliana 27 (2000), S. 117–131.