Schlüsselerlebnisse mit Kindern (18): Willkommene Verspätung

In unserer durchgeplanten Gesellschaft, in den Minuten über Freud und Frust entscheiden (so zumindest der Eindruck, wenn ich Pendler wütig an die Scheiben des abfahrenden Busses schlagen sehe), sind Verspätungen unwillkommen. So kam es, dass ich mit meinem Ältesten irrtümlich eine Stunde vor dem Termin in der Stadt war. Ärgerlich? Nein, Verspätungen sind willkommen. Es gab uns die Möglichkeit eines schönen Rundganges im trauten Gespräch.

Warum werden aus Buben keine Männer (1)? Weil sie überbehütet sind.

Diese Frage war in letzter Zeit häufig Gesprächsgegenstand mit meiner Frau und mit Freunden. Ich äussere in dieser Serie einige Thesen.

1. These Überbehütung: Besonders Mütter sind gefährdet, ihren Söhnen jedes Hindernis aus dem Weg zu räumen und damit ihrer Lebensuntüchtigkeit Vorschub zu leisten.

Dabei beobachte ich folgende paradoxe Reaktionsweise: Mütter wenden viel Energie auf, um ihre Söhne durch die Kinderzeit zu lotsen. Es wird kein Aufwand gescheut, um die Jünglinge mit allem zu versorgen, was diese sich wünschen. Das geht über Nahrung, Kleidung, Unterhaltung, Transporte, Taschengeld bis hin zu über-engagierter Begleitung durch die ganze Schulzeit. Was Sohnemann aus Bequemlichkeit nicht zu leisten bereit ist, wird durch die Leistung der Mutter kompensiert.

Beispiel: Bei der Vortragsübung meines Sohnes stellte ich zu meiner Verblüffung fest, dass ausser ihm nur noch ein weiterer Junge auftrat. Unvergesslich ist der Kommentar des Lehrers über seinen Panflöten-Schüler. Er verabschiete den etwa Neunjährigen mit den Worten: “Dies war Patricks (Name geändert) letztes Konzert. Ich wünsche ihm für sein weiteres Leben alles Gute.” Mir blieb die Spucke weg: Da wird einem Jungen die Möglichkeit eingestanden, sich nach einigen lauwarmen Versuchen von einem Instrument zu verabschieden. Wo bleibt da die Ausdauer? Uns mögen die Chinesen seltsam vorkommen, die ihre Kinder drillen. Aber ehrlich gesagt: Die verweichlichten Westler sind mir genau so suspekt. Ganz nach dem Motto: Wenn es dir keinen Spass mehr macht, dann bemühe dich nicht weiter.

Uns wird unendliche Freude angeboten – und wir geben uns mit so wenig zufrieden

Würde man heute zwanzig brave Männer fragen, welches in ihren Augen die höchste Tugend sei, so würden neunzehn von ihnen antworten: Selbstlosigkeit. Doch hätte man die grossen Christen der Vergangenheit gefragt, so hätten fast alle erwidert: die Liebe. Sehen Sie, was hier geschehen ist? Ein negativer Ausdruck hat einen positiven abgelöst, und das hat mehr als nur philologische Bedeutung. Der negative Begriff der Selbstlosigkeit hat den Unterton, dass nun nicht mehr in erster Linie das Gute für den anderen gesucht wird, sondern dass man selbst auf etwas verzichtet, so als ob unser Verzicht und nicht sein Glück das Wesentliche wäre.

Wenn heute in den meisten modernen Köpfen der Gedanke herumgeistert, der Wunsch nach unserem eigenen Wohlergehen und die Hoffnung auf seine Erfüllung seien etwas Schlechtes, so halte ich dem entgegen, dass dieser Gedanke sich über Kant und die Stoiker eingeschlichen hat, aber nicht Bestandteil des christlichen Glaubens ist. Ganz im Gegenteil. Wenn wir die geradezu schamlosen Verheissungen auf Belohnung und die phantastischen Belohnungen, die in den Evangelien verheissen werden, betrachten, scheint es, als müssten unsere Wünsche dem Herrn eher zu schwach als zu gross vorkommen.

Wir sind halbherzige Geschöpfe, die sich mit Alkohol, Sex und Karriere zufriedengeben, wo uns unendliche Freude angeboten wird – wie ein unwissendes Kind, das weiter im Elendsviertel seine Schlammkuchen backen will, weil es sich nicht vorstellen kann, was eine Einladung zu Ferien an der See bedeutet. Wir geben uns viel zu schnell zufrieden.

C. S. Lewis, Das Gewicht der Herrlichkeit, Brunnen: Basel 2005. (93-94)

Was wir von Sherlock Holmes für unser Bibelstudium lernen können

Trevin Wax zitiert den Blogger Eric McKiddie in voller Länge zum Thema: Was wir von Sherlock Holmes für das Studium schwieriger Bibelabschnitte lernen können. Zum Beispiel: Grosse Geheimnisse in kleine herunterbrechen.

7. Break big mysteries down into little ones.

Watson: “Holmes walked slowly round and examined each and all of [the pieces of evidence] with the keenest interest.”

Difficult passages can be overwhelming. Break chapters down into paragraphs, paragraphs into verses, and verses into clauses. Devote careful attention to each chunk of the passage individually. Then try to piece together the meaning they have when added up as a whole.

Das Gebet – zur Herrlichkeit Gottes und zur Freude seiner Kinder

Wie man an den Blogposts der letzten Wochen unschwer erkennen kann, habe ich mich mit einigen Büchern von John Piper auseinander gesetzt. Hier einige Aussagen zum Gebet aus seinem Hauptwerk “Sehnsucht nach Gott” (3l Verlag: Friedberg 2003).

164 Das Gebet dient de Herrlichkeit Gottes und Freude seiner Kinder (Joh 14,13 & 16,24)

165 Wir bitten Gott darum, durch Christus das für uns zu tun, was wir für uns selbst nicht tun können, nämlich Frucht zu bringen.

166 Ein Versagen in unserem Gebetsleben ist in der Regel ein Versagen, Ihn zu erkennen.

168 Wir geben Gott nicht die Ehre, indem wir Seinen Bedürfnissen gerecht werden, sondern indem wir beten, dass Er unserer Not gerecht wird – und Ihm vertrauen, dass Er uns antwortet.

173 Wir ehren Gott nicht, indem wir ihm dienen, sondern indem wir uns von ihm dienen lassen.

175 Warten – das bedeutet innehalten und nüchtern Bilanz ziehen über unsere eigene Unzulänglichkeit und die Allmacht des Herrn.

176 Gebet ist das Gegengift bei der Krankheit des Selbstvertrauens.

179 Der Gebende bekommt die Ehre.

181 Das Gebet ist das Nervenzentrum der Gemeinschaft mit Jesus.

184 Das Gebet ist ein Funkgerät für den Kriegseinsatz, keine Haussprecheranlage für die Vermehrung unseres Komforts.

189 Wenn ich mich nicht gründlich täusche, besteht der Hauptgrund, warum so viele Kinder Gottes kein besonderes Gebetsleben haben, nicht darin, dass wir es nicht wollen, sondern dass wir es nicht planen.

Mütter können nicht alles haben

Ein Essay einer amerikanischen Mutter und Spitzenbeamtin erntet viel Beachtung (die Zitate stammen aus der BaZ).

Seit Erscheinen des Artikels vor gut einer Woche gibt es kaum eine amerikanische Postille, die nicht auf das Essay reagiert hat und es entweder gnadenlos zerfetzt oder geistreich kommentiert. Mehr als eine Million Mal wurde der Artikel online gelesen und mehr als 170’000-mal auf Facebook empfohlen. Die Debatte wurde in etlichen Blogs aufgenommen und hat auf Twitter zu einer lebhaften Debatte geführt.

Ja, offenbar ist was dran an der Thematik.

Anne-Marie Slaughter kommt zum Schluss, dass sich nicht die Frauen, sondern die Haltung ändern müsse. «Die Gesellschaft muss sich ändern. Die Entscheidung, die Familie vor den Beruf zu stellen, muss genauso wertgeschätzt und akzeptiert werden, wie die umgekehrte Entscheidung.»

Danke, AW.

160 Ökonomen protestieren gegen Sozialisierung der Schulden

Hier der Wortlaut des Protestschreibens, das in der FAZ erschien (Hervorhebungen von mir):

Liebe Mitbürger,

die Entscheidungen, zu denen sich die Kanzlerin auf dem Gipfeltreffen der EU-Länder gezwungen sah, waren falsch. Wir, Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftler der deutschsprachigen Länder, sehen den Schritt in die Bankenunion, die eine kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems bedeutet, mit großer Sorge. Die Bankschulden sind fast dreimal so groß wie die Staatsschulden und liegen in den fünf Krisenländern im Bereich von mehreren Billionen Euro. Die Steuerzahler, Rentner und Sparer der bislang noch soliden Länder Europas dürfen für die Absicherung dieser Schulden nicht in Haftung genommen weden, zumal riesige Verluste aus der Finanzierung der inflationären Wirtschaftsblasen der südlichen Länder absehbar sind. Banken müssen scheitern dürfen. Wenn die Schuldner nicht zurückzahlen können, gibt es nur eine Gruppe, die die Lasten tragen sollte und auch kann: die Gläubiger selber, denn sie sind das Investitionsrisiko bewusst eingegangen und nur sie verfügen über das notwendige Vermögen.

Die Politiker mögen hoffen, die Haftungssummen begrenzen und den Missbrauch durch eine gemeinsame Bankenaufsicht verhindern zu können. Das wird ihnen aber kaum gelingen, solange die Schuldnerländer über die strukturelle Mehrheit im Euroraum verfügen. Wenn die soliden Länder der Vergemeinschaftung der Haftung für die Bankschulden grundsätzlich zustimmen, werden sie immer wieder Pressionen ausgesetzt sein, die Haftungssummen zu vergrößern oder die Voraussetzungen für den Haftungsfall aufzuweichen. Streit und Zwietracht mit den Nachbarn sind vorprogrammiert. Weder der Euro noch der europäische Gedanke als solcher werden durch die Erweiterung der Haftung auf die Banken gerettet; geholfen wird statt dessen der Wall Street, der City of London – auch einigen Investoren in Deutschland – und einer Reihe maroder in- und ausländischer Banken, die nun weiter zu Lasten der Bürger anderer Länder, die mit all dem wenig zu tun haben, ihre Geschäfte betreiben dürfen.
Die Sozialisierung der Schulden löst nicht dauerhaft die aktuellen Probleme; sie führt dazu, dass unter dem Deckmantel der Solidarität einzelne Gläubigergruppen bezuschußt und volkswirtschaftlich zentrale Investitonsentscheidungen verzerrt werden.

Danke, RN.

Unser Lebensstil: Die Qual der Wahl

David F. Wells analysiert hier die Voraussetzung für Jüngerschaft in der postmodernen Welt. Wir wählen unseren Lebensstil, indem wir Güter und Erfahrungen kaufen.

Today, we choose our lifestyle. It is about people projecting and “displaying their individuality and sense of style,” Mike Featherstone writes, “in the particularity of the assemblage of goods, clothes, practices, experiences, appearance and bodily dispositions” and thereby saying who they are or want to be.

“This explains,” Anthony Giddens writes, “why therapy and counseling of all kinds have become so popular in Western countries.”

Consumption is not only about our material needs but also about self-understanding and self-projection.

Der evangelikale Anti-Intellektualismus (3): Langzeitschäden

Guinness ortet acht Einfluss-Quellen, der – neben vielen begrüssenswerten Auswirkungen – dem Anti-Intellektualismus des (US-amerikanischen) Evangelikalismus Vorschub geleistet hat:

  1. Polarisierung: Falscher Gegensatz zwischen Kopf und Herz, also zwischen scharfem analytischem Denken und warmer Erfahrung. Lieber ein warmes Herz, dafür ein leeres Hirn.
  2. Pietismus: Konzentration auf das Innere, auf die private Errettung – mit der langfristigen Tendenz, sozial irrelevant zu sein und ein Dasein an der „Seitenlinie“ der Welt zu führen
  3. Primitivismus: Wiederherstellung der ursprünglichen Idee der „einfachen“ Ordnung der Schrift; damit einhergehend: Ungeduld mit der Komplexität der modernen Welt sowie Unverständnis für die lang andauernden Prozesse
  4. Populismus: Kommunikation auf Augenhöhe des „gemeinen Mannes“; da jeder sein eigener Interpret ist, wird Irrlehren Tür und Tor geöffnet.
  5. Pluralismus: Das Bewusstsein mit Unterschieden zu leben artete in einem Lebensstil aus, der keinen Anstoss erregen will – und damit seine eigenen Überzeugungen preisgibt. Die Betonung liegt sowieso auf Taten und Verhalten und nicht auf Worten und Glaube.
  6. Pragmatismus: Religiöse Überzeugungen haben nur bei unmittelbarer Auswirkung auf das Verhalten (Wahrheits-)Wert. Werke, Selbsthilfe, positives Denken – also der menschliche Wille – rücken in den Vordergrund.
  7. Philistinismus: Überlegenheitsdenken durch Spezial-Wissen in einem bestimmten (christlichen) Bereich
  8. Prämillenialismus: Die Überzeugung, dass das heutige Zeitalter in einer 1000-jährigen Herrschaft von Jesus auf dieser Erde mündet, bewirkte: Eine Rückzugsmentalität, die aber die Hintertür für neu einziehende Weltlichkeit weit offen liess.

Os Guinness. Fit Bodies, Fat Minds. Baker:Grand Rapids1994. (22-68)