Schlüsselerlebnisse mit Kindern (7): Wenn mein Sohn sich prügelt

Doug Wilson verbindet am Anfang seines Buches “Future Men” den Begriff “Glauben” mit der Erziehung von Söhnen. In der Regel verknüpfen wir Glaube mit einer Hoffnung auf ein zukünftiges Leben. Das gleiche gilt auch für die Erziehung: Der Glaube sieht in meinem Sohn schon jetzt, was einmal sein kann – durch Gottes Gnade und meinem vollen (unzulänglichen, bisweilen verkehrten) Engagement als Vater.

Nehmen wir an, mein Sohn ist in einen Kampf mit den Fäusten verwickelt. Schläge werden ausgeteilt. Etwas kleinlaut kommt der Junge nachher – womöglich mit einer Platzwunde oder einer zerrissenen Hose – zu mir. Eine typische fromme Reaktion wäre: Das, was du getan hast, ist Sünde. Die Diagnose trifft zu; wahrscheinlich waren Motiv, Ziel und Standard des Verhaltens nicht lauter. Doch der Glaube sieht noch etwas anderes: Er sieht z. B. den Wunsch des Jungen, sich für ein Unrecht zu wehren; sich für einen Schwächeren einzusetzen; sich einem vorlauten Kollegen in den Weg zu stellen. Höchstwahrscheinlich gäbe es bessere Wege, mit einer solchen Situation umzugehen.

Doch statt den Jungen eine einfache Quittung „Sünde und jetzt sei still“ in die Hand zu drücken, gibt es einen anderen Weg, den Weg des Glaubens: Genau diese Situation ist eine Gelegenheit, mit meinem Sohn ein Gespräch „von Herz zu Herz“ zu führen. Was hast du gedacht, bevor du dich auf den Kampf eingelassen hast? Was ist dir während dem Kämpfen durch den Kopf gegangen? Wie geht es dir jetzt? Welche Gefühle hast du jetzt? Welche anderen Wege würde es geben?

Wenn ich meinem Sohn alles abschneide, werden ihm auf diese Weise (ungewollt) viele männliche Züge „ausgedrillt“. Die Gefahr besteht, dass er nicht lernt, solche Situationen zu überdenken. Wahrscheinlich hat er bereits ein Vorgehen entwickelt, mit solchen Momenten umzugehen. Unter Umständen zieht er sich zurück, wenn er sich wehren müsste. Oder er lässt die Aggression an den Geschwistern oder an den Eltern aus. Oder er richtet die Aggression gegen sich selbst.

Mit neuem Mut (und neuer Perspektive) gehe ich zukünftig solche unangenehmen Situationen an. Weil ich durch den Glauben weiss, dass sie zu Formung von zukünftigen Männern beitragen.

5 Thesen zu Glaube und Vernunft

Nicolas Wolterstorff, wichtiger Vertreter der angelsächsischen reformierten Religionsphilosophie, zum Verhältnis zwischen Glaube und Vernunft:

  1. Belief in God can be justified immediately rather than mediately through reasons or evidence.
  2. Divine revelation is not externally authenticated – it is self-authenticating.
  3. Sin not only affects our wills – it has noetic effects also.
  4. A competent specimen of science may well not be neutral with respect to the Christian faith and that, in the event of conflict, the science should be re-done rather than that the faith should be given up.
  5. A Christian’s engagement in scientific activity should be directed in appropriate ways by his faith.

Aus: Nicolas Wolterstorff, ‘Introduction’ in ‘Rationality in the Calvinian Tradition’, in: John Shortt. TOWARDS AREFORMED EPISTEMOLOGY AND ITS EDUCATIONAL SIGNIFICANCE.

Wenn Menschen lernen, haben sie mehr als Powerpoint verdient

Als Wissenschaftler und Professor erlebe ich pro Jahr einige hundert Präsentationen. … Früher war Präsentationstechnik einfach: Mediziner hatten Dias, Psychologen Folien, Mathematiker erkannte man an den kreideweissen Fingern und Ingenieure hatten immer etwas dabei, das sich bewegte, Krach machte und/oder stank.  … An den Schulen gab es Tafeln und Kreide, gelegentlich vielleicht einen Overhead-Projektor, sehr selten Dias und in Vertretungsstunden oder am Aschermittwoch ein Video. Ganz besonders gelitten haben Vorträge und Präsentationen überall – von den Schulen über die Geschäftswelt bis hinein in die Wissenschaft – mit der Einführung von Laptops, Video-Beamern und Präsentationssoftware. Es wird visualisiert und animiert, was das Zeug hält – vor allem von denjenigen, die auf sogenannte Professionalität Wert lege ohne wirklich ein Profi zu sein.

… In seinem neusten Buch The Cognitive Style of PowerPoint argumentiert der Graphik-Designer Edward Tufte (2003) sehr klar, dass die Grenzen und die Möglichkeiten moderner Präsentationssoftware zu einer Überfüllung der Präsentationen mit unnützer Grafik … und zugleich zu einer inhaltlichen Verarmung führen. … Viele Ideen lassen sich nicht in fünf Punkten mit jeweils vier Wörtern ausdrücken.

… Wenn Menschen sich treffen, um voneinander zu lernen, haben sie besseres verdient als PowerPoint.

Manfred Spitzer. Vorsicht Bildschirm! dtv: München 2011 (7. Auflage). (143-146)

Schlüsselerlebnisse mit Kindern (6): 42 Minuten Musik.

Endlich durfte ich einer Klavierstunde meines Sohnes beiwohnen. Dieser fand ausserplanmässig in den Räumlichkeiten der Zürcher Hochschule der Künste statt. Zeitgleich liefen Aufnahmeprüfungen. Das Haus hallte von Musik wider. Wir betraten ein kleines Zimmer. Der Flügel füllte einen Gutteil des Raumes aus. Die freudige Spannung stieg an, als der Unterricht begann. Es geht um Musik. Zuerst wird ein Stück frei nach Wahl aus dem Repertoire auswendig vorgespielt. (Erst mit einem Repertoire beginnt es Spass zu machen. Ich erinnere mich zurück an die Zeiten, als ich monatelang mit dem gleichen Stück beschäftigt war – aus reiner Faulheit.) Dann geht es um die Sitzhaltung, die Haltung der Hände. Der Lehrer zeigt Übungen im Trockenen, hält die Ellbogen. Er stellt am laufenden Band Fragen: Was hast du gehört? Wie ist es dieses Mal im Vergleich zum letzten Durchgang gelaufen? Solche Fragen fördern die Selbstwahrnehmung des Übenden. Das Stück wird „eingebettet“: Es ist der Schlussteil einer Symphonie, also eines langen Stückes mit Orchester und einem Chor. Zuerst kommen leise die Celli, dann die Geigen. Es stammt von einem berühmten Komponisten namens Beethoven, der das Stück taub geschrieben und uraufgeführt hatte. So werden vier Stücke behandelt, präzise Anweisungen für die Übungen folgen schriftlich. Aus einem bestehenden Stück wird flugs eine Variation angefügt. Die letzten Minuten öffnet der Lehrer den Flügel und zeigt die komplexe Mechanik des Innern. Nach zweiundvierzig Minuten verlasse ich inspiriert den Raum.

15 Fragen, die an den Nerv gehen

Andy Naselli verweist auf 15 Fragen, die auf unser Innerstes abzielen:

  1. What do you desire more than anything else?
  2. What do you find yourself daydreaming or fantasizing about?
  3. What lies do you subtly believe that undermine the truth of the gospel?
  4. Are you astonished with the gospel?
  5. Where have you made much of yourself and little of God?
  6. Is technology interrupting your communion with God?
  7. Is work a source of significance? How?
  8. Where do your thoughts drift when you enter a social setting?
  9. What fears keep you from resting in Christ?
  10. What consumes your thoughts when you have alone time?
  11. When people see how you spend money, do they conclude that God is a priceless treasure, exceedingly valuable above all worldly goods?
  12. When people observe your relationship with others, are they alerted to the power of Christ’s forgiveness of you that alone accounts for your forgiveness of them?
  13. If you are complimented for some accomplishment, does the way you receive it drive onlookers to give thanks to the Lord?
  14. Is your use of leisure time or devotion to a hobby or how you speak of your spouse the sort that persuades others that your heart is content with what God is for you in Christ?
  15. Does your reaction to bad news produce in you doubt or fear, or does it inspire confidence to trust in God’s providence?

Über den Unterschied und den Zusammenhang zwischen Lehre und Leben

Herzlichen Dank, Raphael, für diese Zuschrift, die den nötigen Ausgleich zum vorherigen Post darstellt. Ich stelle sie gleich eins zu eins auf den Blog.

Obwohl es darin primär um die Erziehung geht, ist zu fragen ob es Menschen überhaupt möglich ist, in Lehre und Leben übereinzustimmen. Ich zitiere aus einem Artikel von Prof. Udo Kern in “Koers : Bulletin for Christian Scholarship” über “Luther als protestantischer Katechet” [2009]:

Nach Calvin haben sich “Bischöfe und die Kirchendiener (ministri ecclesiarum) treu dem Dienst des Wortes (ministerium verbi) zu widmen.” Dieser besteht darin die pura et sincera doctrina (reine und echte Lehre) dem Volk weiterzugeben (tradere), und durch das Beispiel des eigenen Lebens (exemplum vitae) das Wort Gottes zu unterweisen (instituere). Auf die rechte, echte, reine Lehre kommt es auch bei Luther an, denn falsche Lehre (falsa doctrina) ist Entheiligung und Schändung von Gottes Namen. Für Luther ist jedoch himmelweite Differenz zwischen Lehren und Leben, zu konstatieren. Jene hat als doctrina dei (Lehre Gottes) reine Lehre (pura doctrina) zu sein, dieses (unser Leben) ist menschlich fehlbar: “Es ist ein gar großer Unterschied zwischen Lehren und Leben, so wie zwischen Himmel und Erde ein großer Unterschied ist. Das Leben mag wohl unrein, sündig und gebrechlich sein, aber die Lehre muss rein, heilig, lauter und beständig sein. Im Leben mag es fehlen, dass es nicht alles hält, was die Lehre will; aber die Lehre (sagt Christus) darf nicht an einem Tüpfelchen oder Buchstaben fehlen, obwohl das Leben ein ganzes Wort oder eine Zeile in der Lehre auslässt. Ursache ist dies: Die Lehre ist Gottes Wort und Gottes Wahrheit selbst; aber das Leben ist unser Mittun. Darum muss die Lehre ganz rein bleiben, und wer am Leben fehlt und gebrechlich ist, da kann Gott wohl Geduld haben und vergeben. Aber die Lehre selbst danach man leben soll, ändern oder aufheben, das kann und will er nicht leiden” (WA 30 III, 343, 23-33). Neben dem großen Unterschied von Lehre und Leben gilt doch auch für Luther der Zusammenhang von beiden. Pura doctrina gibt Hoffnung der Lebensverbesserung: “Wenn die Lehre rein bleibt, so ist Hoffnung, dass auch das Leben leicht gebessert wird (spes est vitae facile corrigendae)”, sagt Luther und illustriert das mit einer Metapher: “Der Sonnenglanz ist rein, wenn er gleich auf  Dreck fällt und scheint. Und Gott erhält etwas Heiliges (sanctum) unter uns, wenn wir […] fallen sollten. Das ist sein Wort, durch das wir alsbald den Irrtum verdammen. Das hält der Herr für groß und hat es lieb.” (WA 13, 688,13-17.) Für Luther gilt jedoch eindeutig aus soteriologischen Gründen die Priorität der pura doctrina vor dem Leben: “Es liegt nun bei weitem nicht so sehr am Leben wie an der Lehre: Wenn das Leben schon nicht so rein ist, kann dennoch die Lehre wohl rein bleiben; mit dem Leben muss man Geduld haben […]. Das Leben wird die Lehre nicht erreichen, solange wir hier leben.” Das sähen wir an dem nicht fehlerfreien und zuweilen Narrenhaften und Schwachheit ausmachenden Leben der Apostel. (WA 24, 607, 3-5.23-30.)

Hier hat Luther die Sache richtig gefasst.

Von dem einen, das unsere Seele nicht entbehren kann

So müssen wir nun gewiss sein, dass die Seele kann alle Dinge entbehren ausser dem Wort Gottes, und ohne das Wort Gottes ist ihr mit keinem Ding geholfen. Wenn sie aber das Wort Gottes hat, so bedarf sie auch keines anderes Dinges mehr, sondern sie hat in dem Wort Genüge, Speise, Freude, Friede, Licht, Verstand, Gerechtigkeit, Wahrheit, Weisheit, Freiheit und alles Gute überschwänglich. So lesen wir im Psalter, sonderlich im 119. Psalm, dass der Prophet nach nichts mehr schreit, denn nach dem Wort Gottes. Und in der Schrift wird es für die allergrösste Plage und Gottes Zorn gehalten, wenn er sein Wort von den Menschen nimmt, wiederum für keine grössere Gnade, als wenn er sein Wort hinsendet…

Fragest du aber, welches ist denn das Wort, das solch grosse Gnade gibt und wie soll ich’s gebrauchen? Antwort: Es ist nichts anderes als die Predigt, von Christo geschehen, wie sie das Evangelium enthält. Welche so beschaffen sein soll und ist, dass du hörest deinen Gott mit dir reden, wie all dein Leben und Werk nichts sind vor Gott, sondern du mit allem, das in dir ist, ewiglich verderben müssest.  … Auf dass du aber aus dir heraus und von dir los, das ist, aus deinem Verderben loskommen könntest, setzt er dir vor seinen lieben Sohn Jesum Christum und lässet dir durch sein lebendiges, tröstliches Wort sagen: Du sollst in denselben mit festem Glauben dich ergeben und frisch auf ihn vertrauen. Dann sollen dir um dieses Glaubens willen alle deine Sünden vergeben, all dein Verderben überwunden sein und du gerecht, wahrhaftig, im Frieden, fromme und alle Gebote erfüllt sein, von allen Dingen frei sein…

Martin Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, 5. Abschnitt. Reclam: Stuttgart 1995. (127)

Wissenschaft ohne die Fakten von Sünde und Wiedergeburt

To omit the facts of sin and of palingenesis from science means that everything must be considered normal as it is, so that man is not alienated from God, his being and his consciousness are not influenced by sin and he needs no restorative power from without and no special revelation to his consciousness in order to attain to a true view of the cosmos.

John Shortt gibt die Position Kuypers in ‘Encyclopedia of Sacred Theology’ (221-22) wider.

Ihr Frauen, lasst euren Männern mehr Raum (3): Verantwortung in Entscheiden übernehmen

Ich schneide ein schwieriges Thema an: Das Thema der Unterordnung. Meine Vorsicht hat zwei Gründe: Einerseits weiss ich um die Möglichkeit des Missbrauchs durch die Ehemänner. Andererseits bin ich mir bewusst, dass innerhalb des christlichen Lagers zwei Modelle existieren (Egalitarismus vs. Komplementarismus, siehe dieser längere Artikel aus der New York Times).

Ich persönlich gehe von der Komplementarität (d. h. gegenseitigen Ergänzung) von Mann und Frau aus. Der Mann ist dienender Leiter der Familie (siehe hier). Was Führung des Mannes in der Ehe bedeutet, hat John Piper feinfühlig ausformuliert (siehe dieser Post).

Was bedeutet dies für den Entscheidungsprozess in einer Ehe? Aus eigener Erfahrung einige Anregungen:

  1. Beziehe deine Frau frühzeitig in deine Gedankengänge mit ein.
  2. Achte auf Hinweise deiner Frau, spiele sie nicht herunter.
  3. Reserviere genügend Zeit für die intensive Klärung und zum Abwägen.
  4. Wer weise ist, sucht Beratung; je nach Entscheid ziehe ein erfahrenes Ehepaar bei.
  5. Bete zusammen mit deiner Frau.
  6. Übernimm die Verantwortung für den Entscheid.
  7. Plane dir einen Zeitpunkt, an dem ihr als Ehepartner gemeinsam auf den Entscheid zurückblickt.