Jede Weltanschauung muss das Verhältnis von Mensch zu Mensch klären

Abraham Kuyper spricht von der zweiten Grundauffassung, die jede Weltanschauung klären muss: Welches Grundverhältnis besteht von Mensch zu Mensch? (Zur ersten geht es hier.)

(Verläuft) unser ganzes menschliche Leben unmittelbar vor Gott, dann folgt hieraus, dass alle, ob Mann oder Frau, ob arm oder reich, ob schwach oder stark, ob tatenvoll oder tatenlos, als Gottes Geschöpfe und als verlorene Sünder, nichts, schlechterdings nichts einander gegenüber zu beanspruchen haben, dass wir vor Gott und so auch unter einander als Mensch und Volk gleich stehen, und dass kein anderer Unterschied zwischen Menschen bestehen darf, als insofern Gott dem einen Ansehen über den andern verliehen hat oder auch dem einen mehr Gaben schenkte, damit er den andern, und in den andern seinem Gott, mehr diene. …

Wenn jemand hierarchisch höher gestellt ist, dann darum,

dass er dies Mehr nicht für sich und seine eigene Grösse rauben, sondern es für Gott in seiner Welt verwenden will. Darum musste der Calvinismus konsequent in der demokratischen Auffassung des Lebens Ausdruck finden, musste die Freiheit der Völker proklamiert und konnte nicht ruhen, ehe von Obrigkeitswegen und im gesellschaftlichen Leben jeder, der Mensch war, nur weil er Mensch war, d.h. Als Geschöpf, nach dem Bilde Gottes erschaffen, geehrt, gezählt und gerechnet wurde. …

Es war nicht der Niedergestellte, der den Höherstehenden herunterzog, um sich selbst nach oben zu drängen; nein, es war ein gemeinsames Niederknien aller auf dem Fussschemel des Heiligen Israels…

Abraham Kuyper, Vorlesungen über den Calvinismus (1898), 1. Vorlesung

Zwei Schlüsselfragen, die zum Zentrum eines Konflikts führen

David Powlisons Aufsatz “Getting to the Heart of Conflict” ist ungemein hilfreich.  Anhand von Jakobus 3,13 – 4,12 benennt er zwei Schlüsselfragen, die zum Zentrum eines Konflikts führen:

1. Warum kämpfst du? Oder anders ausgedrückt: Nach was verlangst du? Gewöhnlich stellt ein Konfliktberater zuerst die gegenläufigen Interessen – ohne aber zu klären, warum diese bestehen. So wird bei der Lösungssuche einfach ein gangbarer Weg gesucht, um trotzdem das zu bekommen, was beide Konfliktparteien wollen.

Contrary to secular assumptions, nothing lies “deeper” than the lusts that lead to conflict. Our cravings rule our lives; they directly compete with God Himself for lordship.

2. Wer bist du, dass du den anderen richtest? Wir möchten selbstgerechte Richter in unseren Mini-Königreichen sein. Wir bekennen die Sünden der anderen und entschuldigen die eigenen.

Darum lauten die zwei Schlüsselfragen, die zum Zentrum des Konflikts führen:

“What do I want?” and “How am I playing God in asserting my will?”

Nichts widerfährt uns, das letztlich nicht von Gott stammt

Dieses Zeugnis des US-amerikanischen Philosophen Mark R. Talbot hat mich bewegt:

When I was seventeen, I fell about fifty feet off a Tarzan-like rope swing, breaking my back and becoming paralyzed from the waist down. I spent six months in hospitals. Initially, I had no feeling or movement in my legs and no bowel or bladder control. I dropped from 200 pounds to 145 pounds because I was so nauseated that I couldn’t eat. Once my back had stabilized a little and I had regained some movement in my legs, the doctors tried to help me to regain more by having me crawl to breakfast each morning. At the time, an undetected calcified stone had formed in my bladder. It was causing raging bladder infections that made me completely incontinent. And so as they would put me on the floor each morning, I would wet myself and remain soaked for the rest of the day. When I left the hospital, after the stone was finally discovered and removed, I was able to control my bladder in most situations and walk awkwardly with a cane.

I’m now fifty-two. My accident has had several long-term consequences. Walking is increasingly more difficult, although it is important for me to stay on my feet in order to exercise my legs. I walk by forcing my leg muscles to spasm, which raises my blood pressure and makes it hard to find ways to exercise adequately to stay in cardiovascular shape. Physical discomfort is pretty steady. I have to remain alert to some physiological concerns that most people never have to think about. In the last ten years or so, I have sometimes had sleep-robbing leg spasms. And in this last year, I’ve learned that my inability to walk has depleted the bone-density in my left hip to the place where, if I take a serious fall, it is likely to break.

Im Wissen um diese herben Schläge in seinem eigenen Leben strahlen seine Statements umso heller auf:

  • I conclude that nothing happens to us—nothing good and nothing bad—that is not ultimately from God.
  • I think that nothing takes God by surprise because he has ordered—or “ordained”—every event from before creation.

John Piper. Justin Taylor. Paul Kjoss Helseth. Beyond the Bounds. Crossway: Wheaton 2003. (78-79)

Nichts kann ein grösserer Fehlschlag sein als der Erfolg

Wenn ein Volk dabei ist, in allen Dingen schwach und untüchtig zu werden, dann fängt es an, von Effizienz zu reden. So fängt auch ein Mensch zum ersten Mal an, sich mit seiner Gesundheit zu beschäftigen, wenn sein Körper kaputt ist. Lebenskräftige Organismen reden nicht über ihren Stoffwechsel, sondern über das, was sie vorhaben. Es gibt keinen besseren Beweis dafür, dass ein Mensch im Vollbesitz seiner Kräfte ist, als wenn er frohen Mutes von einer Reise ans andere Ende der Welt spricht. … Es gibt kein klareres Zeichen für strotzende Gesundheit als die Orientierung an hochgesteckten, phantastischen Idealen; die Sterne vom Himmel holen wollen wir im ersten Überschwang der Jugend. Keiner der starken Menschen in den starken Zeitaltern hätte verstanden, was wir meinen, wenn wir leistungsorientiertes Arbeit propagieren. (…)

Mag sein, dass es viele närrische und falsche Ideale gegeben hat, von denen die Menschheit immer wieder einmal an der Nase herumgeführt worden ist. Aber mit Sicherheit war nie ein Ideal in der Praxis so närrisch und falsch wie das Ideal der Praxisbezogenheit … Nichts ist der Verwirklichung von Zielsetzungen abträglicher, als wenn dem unmittelbaren Gelingen solch ungeheure Bedeutung beigemessen wird. Nichts kann ein grösserer Fehlschlag sein als der Erfolg.

G. K. Chesterton. Ketzerei. Insel taschenbuch: Berlin 2012. (16+20)

Heute überlässt man das Denken sich selbst wie einen ungeniessbaren Fisch, den man ins Meer zurückwirft.

Einige  Ausschnitte aus dem genialen Einstiegskapitel “Ketzerei” (englischer Originaltitel “Heresy”, geschrieben 1905) von G. K. Chesterton:

Das Wort „Ketzerei“ hat nicht nur nicht mehr die Bedeutung, dass man sich auf dem Irrweg befindet; es heisst praktisch, dass man intelligent und mutig ist. …

Es gibt noch etwas unendlich Absurderes und Untauglicheres als den Brauch, einen anderen wegen seiner Grundsätze zu verbrennen: nämlich davon auszugehen, dass die Grundsätze des anderen überhaupt keine Rolle spielen. …

An irgendeinem harmlosen nachmittäglichen Teetisch kann man ohne weiteres jemanden den Satz hören sagen: „Das Leben lohnt das Leben nicht.“ Wir nehmen das zur Kenntnis wie eine Äusserung über das Wetter; niemand hält es für möglich, dass die Feststellung für den Betreffenden selbst oder für die Welt ernsthafte Folgen haben kann. Würde indes diese Äusserung geglaubt, die Welt stünde auf den Kopf. Mörder würden ausgezeichnet, weil sie Menschen vom Leben erlösten; Feuerwehrleute würden an den Pranger gestellt, weil sie Menschen vor dem Tod bewahrten…

Heute hält man die ganze Wahrheit für so unwichtig, dass alles, was dazu gesagt wird, gleichgültig ist. Damals liess man dem Denken freien Lauf wie man einen edlen Jagdhund von der Leine lässt; heute überlässt man das Denken sich selbst wie einen ungeniessbaren Fisch, den man ins Meer zurückwirft. …

Unserer Meinung nach ist die Frage nicht, ob das Weltbild Einfluss auf den Gang der Ereignisse hat, sondern ob auf die lange Sicht ausser dem Weltbild irgendetwas sonst den Weltlauf beeinflusst.

Jede Weltanschauung wird zuerst von ihrem Verhältnis zu Gott bestimmt

Ich habe mit erneut mit der ersten Vorlesung von Abraham Kuypers “Lectures on Calvinism” (1898) beschäftigt. Darin entwickelt der Theologe, Staatsmann und Universitätengründer eine christliche Welt- und Lebensanschauung. Sie gründen auf “drei prinzipiellen Verhältnisse alles menschlichen Lebens”:

  • unserem Verhältnis zu Gott
  • unserem Verhältnis zum Menschen  und
  • unserem Verhältnis zur Welt

Zum Verhältnis zu Gott schreibt er:

Voran steht also die Forderung, dass solch eine Bestrebung ihren Ausgangspunkt in einer bestimmten Auffassung unseres Verhältnisses zu Gott finde. Das ist nicht zufällig, das muss so, kann nicht anders sein. Soll wirklich solch eine Bestrebung auf unser ganzes Leben ihren Stempel drücken, dann muss sie von dem Punkt unseres Bewusstseins ausgehen, wo unser Leben noch ungeteilt geblieben ist und noch in seiner Einheit zusammengefasst liegt, nicht von seinen ausgebreiteten Zweigen, sondern von der Wurzel, aus der alle Äste und Zweige aufschossen. Und dieser Punkt nun kann nirgends anders liegen als in dem Gegensatz alles Endlichen in unserem menschlichen Leben zu dem  Unendlichen, was dahinter liegt. Da allein ist der gemeinschaftliche Born, von wo aus die verschiedenen Ströme unseres menschlichen Lebens hervorgehen und sich verteilen. Persönlich erfahren wir denn auch andauernd, wie in dem Tiefsten unseres Gemütes, an dem Punkt, wo dies Gemüt sich vor dem Ewigen erschliesst, alle Strahlen unseres Lebens wie in einem Brennpunkt zusammenfallen und allein da die Harmonie wieder gewinnen, die sie im Leben so oft und so schmerzlich verlieren. Im Gebet liegt nicht nur unsere Einheit mit Gott sondern auch die Einheit unseres persönlichen Lebens.

Und was ist mit anderen Weltanschauungen, die diesen Fokus nicht haben?

Bewegungen in der Geschichte, die nicht aus diesem tiefsten Born stossen, sind denn auch immer partiell und vorübergehend, und allein die historischen Aktionen, die aus dieser tiefsten Tiefe in des Menschen persönlichem Bestand hervorgingen, umfassten das ganze Leben und besassen Dauer.

Kuyper nennt drei Bewegungen: Paganismus (Heidentum), Islamismus und Romanismus (Katholische Kirche):

  1. Der Paganismus sei daran erkennbar, “dass es Gott in der Kreatur sucht, vermutet und abbildet. Dies gilt von dem tiefstehenden Aninismus so gut wie von dem höchststehenden Buddhismus. Zu der Selbständigkeit eines Gottes ausser und über der Kreatur steigt der Paganismus nicht auf. Jedoch auch in dieser gebrechlichen Form hat er als Ausgangspunkt eine bestimmte Auffassung des Verhältnisses, und dem das Unendliche zu dem Endlichen steht, und dieser verdankt er seine bildende Kraft für das menschliche Zusammenleben.”
  2. Der Islam isoliert Gott von der Natur, um alle Vermengung mit der Kreatur abzuschneiden.
  3. Der Romanismus vertritt den Grundgedanken, “dass Gott mit der Kreatur in Gemeinschaft tritt vermittels eines mystischen Zwischengliedes, und dies Zwischenglied ist die Kirche, nicht als mystischer Organismus gedacht, sondern als sichtbares haftbares, wahrnehmbares Institut. Die Kirche steht hier zwischen Gott und der Welt…”

Liebe ist nicht die Grundlage für den Ehebund, sondern…

Liebe ist nicht die Grundlage für den Ehebund, sondern der Bund ist die Grundlage für das Gedeihen ehelicher Liebe. Man kann es mit der Erde vergleichen, in der eine Pflanze steckt: Der vor Gott existierende Bund ist der gute Nährboden einer Ehe. Deshalb ist es keine gute Lösung, eine Pflanze ständig herauszureissen und zu verpflanzen.

John Piper, Tim Keller und Don Carson in einem kurzen Video

Bewahrte Kämpfer

Judas schreibt „an die Berufenen, die … in Jesus Christus bewahrt sind“ (Judas 1,1). Und der schliesst mit der Verheissung: „Dem aber, der mächtig genug ist, euch ohne Straucheln zu bewahren…“ (Judas 1,24)

Diese doppelte Verheissung der Bewahrung bildet die Klammer um einen Brief, in dem es um den geistlichen Kampf der Christen geht. Judas ruft sie auf für den „ein für allemal den Heiligen überlieferten Glauben“ zu kämpfen (Judas 1,3). John Piper kommentiert:

When God promises that his church will be kept from defeat, his purpose is not that we lay down our sword and go to lunch, but that we pick up the sword of the Spirit and look confidently to God for the strength to fight and win.