Home Education als Generationenprojekt

Benjamin Lanz, Präsident von Bildung zu Hause Schweiz, hat dem Magazin “surprise” ein Interview gegeben (im Link muss auf S. 16 geblättert werden). Auf den Einwand, dass zu viel Abhängigkeit von den Eltern entstehe, antwortet er:

Es wäre zu eng gefasst, wenn man denken würde, Homeschooling passiere nur zu Hause mit den eigenen Eltern. Als unsere Kinder kleiner waren, hat mein Schwiegervater mit ihnen zum Beispiel ein Modellboot gebaut. In unserer Kirchgemeinde gab es eine Frau, die ihnen Haushaltsarbeiten wie Nähen beibrachte, und einen Mann, der sie in Geometrie unterrichtete. Wenn Sie Leute finden, die mithelfen, dann ist Homeschooling ein Generationenprojekt mit Grosseltern, anderen Verwandten und Freunden.

Konstruktivismus in der Pädagogik – weitere Überlegungen

Die Diskussion zum Konstruktivismus auf theoblog geht weiter. Hier ein Ausschnitt aus einem Kommentar Rons:

Kern des Konstru scheint mir zu sein, dass alles uns Gegebene nur von uns Gemachtes ist. Ist es so, liegen die Konsequenzen für die Pädagogik auf der Hand. Nicht das Kind hat sich nach der Wirklichkeit zu richten, sondern die Wirklichkeit richtet sich nach dem Kind. Was daran christlich sein soll, bleibt mir verborgen. Ich erkenne hier eher einen anti-christlichen Zug. Der Mensch wird in gewisser Weise zum Konstrukteur des Wirklichen, wird also – jetzt formuliere ich bewusst überspitzt – zum Gott. Dieser Zug lässt sich sogar in der christlichen “Erbauungsliteratur” ablesen. Der Gott, der dort manchmal erscheint, hat sich nach unseren Erwartungen zu richten. Gott hat so zu sein, wie wir uns das wünschen. Gott ist reine Liebe und wird an uns schuldig, so dass wir lernen müssen, ihm zu vergeben. Dass solche Vorstellungen aus unserem Herzen den Götzendienst fördern, merken wir gar nicht mehr (Calvin nennt unser Herz eine Götzenfabrik).

Ein weiterer Kommentator sieht gerade bei den “Konstrukteuren” einen Wunsch nach apodiktischer Gewissheit:

Viele revolutionäre Philosophien haben die Forderung nach apodiktischer Gewißheit gemeinsam, z.B. Descartes, Kant, Schlick. Aus Enttäuschung über das Nichterlangen apodiktischer Gewißheit stellen sie revolutionäre Thesen auf, wie z.B. „Die Dinge werden von uns geschaffen und sind gar nicht unabhängig von uns.“ Die vernünftige Haltung ist natürlich: „Wir sollten versuchen herauszufinden, was interessant und wichtig ist. Je stärkere Indizien wir finden, desto besser.“ Selbst wenn der Begriff apodiktischer Gewißheit überhaupt kohärent auszubuchstabieren wäre – was er nicht ist -, wären nur Dinge apodiktisch gewiß, die sowieso offensichtlich sind. Es ist ganz egal, ob es etwas gibt, was wir mit apodiktischer Gewißheit kennen. Viele antichristliche Philosophen scheinen aber von neurotischer Sucht nach apodiktischer Gewißheit besessen zu sein. Vielleicht wollen sie Gott spielen oder sind sauer auf Gott.

Meine Lektüre 2011 (Teil IV): Lebensbilder

Immer wieder beschäftigen mich Lebensbilder von Menschen. Ich habe mich dieses Jahr mit Jonathan Edwards (Biographie von Ian H. Murray) und George Whitefield (Biographie von Benedikt Peters) beschäftigt. Beide sind auch online abrufbar. Diese beiden Männer haben Spuren in meinem Denken und Leben hinterlassen. Auch die neu erschienene Biographie über Herman Bavinck nahm ich mehrmals hervor. Die Biografie über Martin Lloyd-Jones, geschrieben von dessen Enkel Christopher Catherwood, las ich in einem Zug; einige Passagen bleiben unvergessen. In meinem Gestell lachen mir einige weitere Bände entgegen: Die Autobiographie von G. K. Chesterton; eine über Heinrich Bullinger (von Blanke/Leuschner). Und dann habe ich mir die vom verstorbenen Apple-Gründer Steve Jobs vorgenommen.

Wir haben den Begriff “Sünde” nicht aus dem Vokabular, aber aus den Denkkonzepten verbannt

Der Alttestamentler Frank Koppelin schreibt in seiner AT-Theologie:

Der Begriff Sünde ist an sich zu einem innerkirchlichen Ausdruck geworden – der Mensch von heute kann ihn kaum mehr mit Inhalt füllen. Allenfalls spricht er noch von der süssen Versuchung oder einem sündhaft teuren Geschenk.

Ich setze mich seit einigen Monaten intensiv mit dem Thema Sünde, genauer Ursprungssünde (üblicher, aber schlechter “Erbsünde”), auseinander. Ich bin der Überzeugung, dass die Weiche, die von einem Mönch mit Namen Pelagius (5. Jh.) gefällt und seit der Aufklärung konsequent Eingang in alle Bildungskonzeptionen fand, unser Verständnis und damit auch unser Handeln in Bildung und Erziehung tief greifend beeinflussen. Die Irritation, die ich in Gesprächen damit auslöse, ist jedenfalls gross.

Unter dem Tag “Sünde” haben ich bis heute 60 Posts mit Zitaten online gestellt.

Was mich 2011 beschäftigt hat – zwei Blogserien

  1. 2011 ist mein fünfter Sohn auf die Welt gekommen. In 120 kurzen Beiträgen schildere ich Erlebnisse aus den letzten Wochen vor der Geburt und die ersten Monate danach. Die Serie trägt den Titel „Der fünfte Bub“.
  2. Ausgelöst durch eine intensive Diskussion mit meinem Bruder, habe ich eine 20-teilige Serie „Ich such’ mir eine neue Kirche“ geschrieben. Es geht um die Reflektion von eigenem Erleben und einige neue alte Ideen.

P. S. Am besten gelangst du via „Suchen“ und Eingabe der obigen Titel auf die entsprechenden Beiträge.

Eine Generation wird krank geredet

Kinder werden bei der geringsten Auffälligkeit in Therapie geschickt. So schreibt die Basler Zeitung (man beachte auch die Kommentare):

Lehrer beschliessen heute schnell, Kinder abklären zu lassen – manchmal auf Druck der Eltern, manchmal gegen deren Willen. Schliesslich sollen Defizite behoben werden. Was scheinbar krankt, muss geflickt werden – dabei hebt das Kind häufig lediglich seine Eigenheiten hervor

Eltern würden ihre Kinder und sich selbst unter enormen Druck setzen.

Das Leben als gehetzter Raum – Besinnlichkeit ist nur in klar strukturierten Dosen möglich. Eltern wie auch Lehrer halten es kaum mehr aus, wenn Kinder langsamer, verträumter oder schräger sind als andere.

Ein Arzt wird zitiert:

Wenn ich heute die Mädchen und Knaben des Kindergartens untersuche, werde ich oft nachdenklich. Sie werden wie Spalierobst gehegt und zurechtgeschnitten. Nicht das geringste Lispeln, die kleinste Tappigkeit beim Balancieren, das gutmütigste Tagträumen, die kleinste Beinlängendifferenz werden toleriert – die Kinder sollen schön, gewandt, intelligent, schnell konzentriert, aufmerksam und höflich sein. Ich mache mir Sorgen um einige von ihnen!

Europas Jugend sei dumm und faul

So sagt es der österreichische Banker Gerald Hörhan, der in Harvard Mathe studiert hat. Er ist 34.

Leider mache ich die Erfahrung, dass viele Jugendliche lieber shoppen, chillen, chatten, Party und Schulden machen, statt zu arbeiten. Es ist eine wohlstandverwahrloste, dekadente Generation, denen keine Werte wie Fleiss, Sparsamkeit und Disziplin vermittelt wurden. Ihnen fehlt der Biss und der Arbeitshunger. … Jedes Tier, das zu fett wird, stirbt aus. … Meine Message an die Jungen lautet: Plant eure Karriere wie ein Investment, verzichtet auf ein Leben auf Pump und spart stattdessen für ein Unternehmen oder Immobilien.

So wie ich ihm auf der einen Seite Recht gebe, meine ich andererseits eine gewisse Härte zu erkennen: Ich habe es geschafft, und der Rest nicht. Fleiss, Sparsamkeit und Disziplin sind an sich gute Eigenschaften (man lese nur das Buch der Sprüche), denen wir einen Gutteil unseres Wohlstands verdanken. Doch wenn sie nicht aus einem dankbaren Herzen gegenüber Gott und der Freude an ihm fliessen, lassen sie nicht nur andere Menschen links liegen. Sie setzen letztlich das eigene Selbst an die Stelle Gottes.

Meine Lektüre 2011 (Teil III): Die in frommen Kreisen verkannte Systematik.

Als Theologe lese ich immer wieder einige Happen aus systematischen Theologien. Diese grossen Werke versuchen die Substanz der christlichen Lehre in geordneter Form wieder zu geben. Ganz vorne auf meiner Hitliste stehen: Johannes Calvin, Institutio (hier online); Herman Bavinck, Reformed Dogmatics; Michael Horton, Systematic Theology.

Von Joshua Harris habe ich die Idee mitgenommen, eine kürzere Systematik einmal in einer Gesprächsgruppe mit jungen Menschen (wenigstens teilweise) zu bearbeiten. Eine gründliche thematische Auseinandersetzung kann Lebens-Weichen stellen!

Meine Lektüre 2011 (Teil II): Das biblische Menschenbild im Dialog mit dem des 20. und 21. Jahrhunderts

Der zweite Auftrag meines Professors lautete, einige neuere Anthropologien (also systematischen Darbietungen zur Lehre des Menschen) zu Gemüte zu führen. Ich ringe bis zum heutigen Zeitpunkt mit Emil Brunner, Der Mensch im Widerspruch; Helmuth Thielicke, Mensch sein – Mensch werden; Reinhold Niebuhr, Nature and Destiny of Man. Wirklich zufrieden gestellt hat mich bisher einzig Anthony H. Hoekema. Created in God’s Image.

Konstruktivismus in der Pädagogik – erste Hilfe

Hier sind einige Inputs/Quellen:

  1. Eine kurze Abhandlung:  Ron hat bereits auf eine kurze Ausarbeitung von mir hingewiesen: Konstruktivismus – Darstellung und Kritik. Ich arbeite seit 12 Jahren in der Erwachsenenbildung. Auch hier ist der Konstruktivismus sehr verbreitet.
  2. Posts: Unter dem Tag „Konstruktivismus“ sammle ich Zitate / Standpunkte, die mit dem Thema zu tun haben.
  3. Ein kürzeres Buch: Unbedingt empfehlenswert: Das kurze Buch von Francis Schaeffer …und er schweigt nicht. R. Brockhaus Verlag: Wuppertal 1991 (antiquarisch). Ich empfehle seine Triologie.
  4. Einführung in die Epistemologie: Ein Philosophe, mit dem ich in Kontakt stehe, meinte auf meine Frage nach dem Konstruktivismus: Das sei gar kein Thema, da selbstwidersprüchlich. Er empfahl mir die Einarbeitung in die Erkenntnislehre (Epistemologie), z. B. Robert Audi, Epistemology: A Contemporary Introduction to the Theory of Knowledge.
  5. Das Thema in grössere Kategorien einordnen: Eigentlich ist der Konstruktivismus ein zu-Ende-Denken des antiken Skeptizismus. Es ist einfach wichtig, solche Strömungen innerhalb der europäischen Geistesgeschichte einordnen zu können. Mir half da sehr Richard Tarnas, Das Wissen des Abendlandes.