Das westliche Denken durchlief im Laufe der Moderne eine bemerkenswerte Dialektik. Am Beginn stand ein fast grenzenloses Vertrauen in den Menschen: in seine eigenen Kräfte, in sein spirituelles Potenzial; in seine Fähigkeit, sicheres Wissen erlangen und die Herrschaft über die Natur immer weiter ausdehnen zu können; in sein positives Schicksal. Am Ende befand sich der Mensch in einer Situation, die sich nicht selten durch die genau entgegengesetzten Merkmale auszeichnete: ein lähmendes Gefühl der eigenen metaphysischen Bedeutungslosigkeit und persönlichen Nutzlosigkeit; den Verlust des Glaubens; die Ungewissheit des Wissens; eine wechselseitig zerstörerische Beziehung zur Natur; eine intensive Ungewissheit, was die Zukunft des Menschen anbetraf. In den vier Jahrhunderten der Existenz des modernen Menschen hatten sich Bacon und Descartes in Kafka und Beckett verwandelt.
Richard Tarnas. Das Wissen des Abendlandes. Albatros: Düsseldorf 2006. (496)