Es gibt überzeitliche und allgemeingültige Werte, die der Willkür des erlebenden Subjekts entzogen sind und sich als etwas Objektives wenn nicht gar Absolutes erweisen. Unser ganzes Leben ist von solchen Werten überhöht und geleitet. Das Heilige, das Gute, das Wahre, das Schöne, das Gerechte … bilden nach Spranger objektive absolute Massstäbe, an denen unser Leben sich misst. … Der Mensch ist nicht einfach ein Wesen, das sich von seinen Impulsen und von sozialen und biologischen Anregungen leiten lässt. Sein Verhalten wird vielmehr wesentlich bestimmt durch Normen, Werte, die überindividuell und überzeitlich und damit allgemeingültig sind.
Diese Werte werden in der Seele des einzelnen Menschen verwirklicht. … Werte werden ‘aktualisiert’, das heisst im tatsächlichen Erlebnis dieser oder jener Seele realisiert. … Auf diese Weise entsteht durch die Verwirklichung der Werte in Gegenständen eine objektive, dem einzelnen gegenüberstehende geist- und werterfüllende Welt, deren Gesamtheit wir kurz als Kultur zu bezeichnen pflegen. Der Mensch ist … Kultur erzeugnedes und Kultur erlebendes Wesen, das sich dank der in der Kultur enthaltenen absoluten Werte weit über seine natürlich-biologische Natur hinaushebt. … Die Aufgabe des Menschen besteht deshalb nach Spranger in der Aufgabe, sich immer mehr zur Höhe des absoluten Geistes zu erheben, sich zu einer werterfüllten Persönlichkeit zu entwickeln.
Aus: Leonhard Jost. Begegnung mit Eduard Spranger. In: Eduard Spranger. Zur Bildungsphilosophie und Erziehungspraxis. Verlag Schweizerischer Lehrerverein: Zürich 1983. (20-23)
Kommentar: Leider werden die Werte letztlich vom persönlich-unendlichen Schöpfer abgekoppelt. Der Mensch erhält die unerfüllbare Aufgabe, sich aus eigener Kraft höher zu entwickeln. Die Bibel konfrontiert den Menschen mit seinem Unvermögen. Nur die Anmeldung des Bankrotts vor ihm und die Inanspruchnahme der stellvertretenden Sühne schafft die Voraussetzung, seine ursprüngliche Bestimmung – den Schöpfer zu ehren – zurück zu finden.