Philipp Jakob Spener mahnt in seiner programmatischen Reformschrift “Pia Desideria” (1675) – rund 150 Jahre nach der Reformation – zur Rückkehr zum Wort Gottes. Dies ist sein erster Reformvorschlag. “Das Wort Gottes ist reichlicher unter uns zu bringen.” Wenn ich in unsere Gemeinden schaue, denke ich: In wie manchen Gottesdiensten wird noch text-zentriert gepredigt (geschweige denn, dass die Gemeindeglieder privat die Bibel lesen?)
Weshalb ist das Lesen der Bibel wichtig? Spener leitet die Notwendigkeit anthropologisch her: “Wir wissen, dass wir von Natur aus nichts Gutes an uns haben, sondern soll etwas an uns sein, so muss es von Gott in uns gewirkt werden.”
Der Predigtgottesdienst allein genüge nicht, um die Heilige Schrift bekannt zu machen. Da würden nur die vorgeschriebenen Texte des Kirchenjahres gepredigt, also nur ein Teil der Bibel. So fehle der Einblick in den grossen Zusammenhang.
Er empfiehlt, dass jeder Hausvater täglich aus dem Alten und Neuen Testament vorlese, sowie zusätzliche Gemeindeveranstaltungen, um die Bibel besser kennen zu lernen. Einerseits solle darin ohne weitere Erklärung vorgelesen und kurze Zusammenfassungen gegeben werden. Andererseits soll in sogenannten Kirchenversammlungen “brüderlich miteinander über jede Stelle” ausgetauscht werden.
Durch diesen Austausch würde der Pfarrer die Gemeindeglieder besser kennenlernen. Diese hätten die “ausgezeichnete Gelegenheit, ihren Fleiss im Wort Gottes zu üben und sich dazu aufzumuntern, ihre vorhandenen Skrupel vorzutragen und eine Antwort darauf zu hören. Denn sie nehmen sich doch sonst kaum ein Herz, sie auszusprechen. So wachsen sie selbst dabei innerlich und werden tüchtiger, in ihrer eigenen Hauskirche Kinder und Hausgenossen besser zu unterrichten.”
Aus: Philipp Jakob Spener. Pia desideria – Umkehr in die Zukunft. TVG Brunnen: Giessen 1995. (49-54)