Was für eine Kunst ist die Pädagogik? Die positivistische Auffassung betrachtet sie als technische Kunst und sucht ihr wie jeder Technik die wissenschaftliche Grundlage zu geben in naturwissenschaftlich festgestellten Kausalzusammenhängen, also in einer Psychologie oder Biologie oder Soziologie. … Andere sehen in der Pädagogik eine ethische Kunst … und wieder andere nehmen sie in Analogie zur bildenden Kunst.
Die letzten Bewusstseinsstellungen, die überall unser Denken und Schaffen bestimmen, sind augenscheinlich auch in der pädagogischen Arbeit wirksam. Der Erzieher steht seiner Aufgabe jedes Mal ganz anders gegenüber, ob er als Positivist oder als ethischer Idealist oder als künstlerisch-schauender Pantheist lebt, und die andere Lebenshaltung mit ihrer tief greifenden kategorialen Verschiedenheit wird auch zu typisch verschiedenen pädagogischen Leistungen führen. Das heisst nicht bloss, dass die Pädagogik jedes Mal von einer anderen Theorie abgeleitet würde, sondern viel elementarer: die pädagogische Kunst ist in einem pädagogischen Verhalten gegründet, das schliesslich zurückreicht in die Art, wie ein Mensch überhaupt im und zum Leben steht-
Nohl buchstabiert dies noch weiter aus:
Ich stehe als Positivist vor dem Kind, dann will ich eingreifen in diese kleine Maschine, suche die Kausalzusammenhänge als Grundlage meiner Leistung, sehe vor allem die natürlichen Bedingtheiten, Trieb- und Assoziationsmechanismen… Oder ich gehe von der geistigen Umwendung aus, die über das sittliche Leben entscheidet: als die eigentliche pädagogische Aufgabe scheint mir dann, in einen ethischen Bezug mit dem Kinde zu kommen, sein Gewissen zu wecken und seinen Willen zu gewinnen. Oder ich stehe vor dem Kinde wie vor einer sich entfaltenden Blume, in deren bildenden Kräften schon alles enthalten ist, abwartend und solcher schöpferischen Selbstentfaltung zuschauend, nur Schädliches wegräumend, wie Rousseau oder Fröbel in ihrer nachgehenden Erziehung oder Berthold Otto und die verschiedenen Schulreformer.
Aus: Herman Nohl. Die pädagogische Bewegung in Deutschland. Vittorio Klostermann: Frankfurt 1988. (134-136)