Das allerdings gebe ich zu, dass viele Stellen in der Schrift dunkel und verworren sind, nicht um der Hoheit der Dinge, sondern um unserer Unkenntnis der Worte und der Grammatik willen, die aber nicht die Erkenntnis aller Dinge in der Schrift hindern können. Denn was kann in der Schrift noch Erhabeneres verborgen sein, nachdem die Siegel aufgebrochen sind (Offb. 6, 1) und der Stein von der Grabestür gewälzt ist, jenes höchste Geheimnis verkündigt worden ist, dass Christus, der Sohn Gottes Mensch geworden, dass Gott dreifältig und doch einer sei, dass Christus für uns gelitten hat und ewiglich regieren werde. Ist das nicht in aller Welt bekannt und verkündigt? Nimm Christus fort aus der Schrift, was wirst Du weiter in ihr finden? Die Dinge, welche in der Schrift verkündet sind, liegen also klar am Tage, mögen auch einige Stellen bisher um unbekannter Worte willen dunkel sein. Töricht aber ist es wahrlich und gottlos, zu wissen, dass der ganze Inhalt der Schrift im klarsten Licht liegt, und wegen einiger dunkler Worte die Tatsachen für dunkel zu erklären. Wenn an einer Stelle die Worte dunkel sind, so sind sie doch an einer anderen klar verständlich. Dieselbe Sache aber, welche auf das offenkundigste aller Welt vorgetragen ist, wird in der Schrift einmal mit klaren Worten vorgetragen, ein anderes Mal liegt sie bisher wegen der unverständlichen Worte verborgen. Es liegt wirklich nichts daran, wenn die Sache sich im Lichte befindet, dass irgendeines ihrer Merkmale im Dunkeln liegt, während jedoch viele andere ihrer Merkmale im Lichte stehen. Wer wird behaupten, ein Öffentlicher Brunnen befinde sich nicht im Lichte, weil die in der Seitenstraße stehen, ihn nicht sehen, während doch alle, die auf dem Markt sind (wo er steht), ihn sehen können? DER SCHRIFTINHALT IST KLAR VERSTÄNDLICH!
Aus: Martin Luther. Vom unfreien Willen (1525); pdf-Download hier.