Die Ursünde – ohne dieses Geheimnis sind wir uns selber unbegreiflich

Wenn der Mensch nie wäre verdorben worden, würde er sich in seiner Unschuld der Wahrheit und der Seligkeit zuversichtlich erfreuen; und wenn der Mensch nie anders gewesen wäre als verdorben, hätte er keine Vorstellung weder von der Wahrheit noch von der Seligkeit. Aber so unglücklich wir auch sind – und wir sind unglücklicher, als wenn es gar keine Grösse in unserem Zustand gäbe -, wir haben eine Vorstellung vom Glück und können es nicht erreichen; wir fühlen ein Bild der Wahrheit und besitzen nur die Lüge; wir sind unfähig des absoluten Nicht-Wissens und der sicheren Erkenntnis: So sehr ist es offenbar, dass wir uns auf einer Stufe der Vollkommenheit befunden haben, von der wir unseligerweise herabgestürzt sind! Es ist indessen erstaunlich, dass wir ohne das für unsere Erkenntnis unzulänglichste Geheimnis, das von der Vererbung der Sünde, keinerlei Erkenntnis über uns selbst erlangen sollten! Denn es besteht kein Zweifel, dass nichts unsere Vernunft so sehr beleidigt, wie die Behauptung, die Sünde des ersten Menschen habe die schuldig gemacht, die von jenem Ursprung so weit entfernt sind, dass sie der Teilhabe daran unfähig erscheinen. Dieses Fortwirken der Sünde erscheint uns nicht nur unmöglich, es erscheint uns sogar sehr ungerecht,; denn was widerspricht den Regeln unserer elenden Gerechtigkeit mehr, als die ewige Verdammnis eines der Entscheidung nicht fähigen Kindes um einer Sünde willen, an der es so wenig Teil haben konnte, dass sie sechstausend Jahre vor seiner Geburt begangen wurde? Wahrlich, nichts bereitet uns ein so unerträgliches Ärgernis wie diese Lehre; aber ohne dieses Geheimnis, das unbegreiflichste von allen, sind wir uns selber unbegreiflich.

Blaise Pascal, Pensées, Fragment 434