Therapie heisst: Möglichst lange nichts tun

Noch einige Inputs von Manfred Lütz, etwa dieser weise Hinweis aus dem Vorwort:

Die ärztliche Kunst besteht darin, so viel nichts zu tun, wie nur möglich. Das gilt für Psychiater wie für Chirurgen. Ein Chirurg braucht 2 Jahre, um zu wissen, wenn die Operation zu machen ist. Und 20 Jahre, um zu wissen, wann die Operation nicht zu machen ist. (IX)

Weit davon entfernt, einzelne Schulen in Bausch und Bogen zu verdammen, begutachtet Lütz die einzelnen Therapie-Schulen der letzten 100 Jahre kritisch. In Bezug auf die Tiefenpsychologie stellt er etwa fest:

Freud verteilte Ringe an seine engsten und wichtigsten Jünger wie Bischofsringe, er exkommunizierte seinen Meisterschüler C. G. Jung und seine Texte werden mitunter noch heute wie heilige Schriften verehrt.  Freud selbst wandte die Psychoanalyse nicht nur auf Patienten an, sondern machte daraus eine anregende Lehre über Gott und die Welt. All das führte und führt bei weniger erleuchteten Anhängern der Psychoanalyse nicht selten dazu, psychoanalytische Deutungen als Wahrheiten zu verstehen. (57)

Und zur Verhaltenstherapie meint er:

Die klassische Verhaltenstherapie interessiert sich nicht für die Dynamik, die hinter einer Symptomatik liegen mag. Sie interessiert sich schlicht für die Symptome selbst, das äusserlich beschreibbare Verhalten, und vor allem dafür, wie man die Symptome wegbekommt. Die Verhaltenstherapie hält solch krankhaftes Verhalten für lebensgeschichtlich erlernt, mit der Folge, dass man es auch wieder verlernen kann. Dafür hat sie wissenschaftlich genau evaluierte Methoden entwickelt, um eine möglichst schnelle und nachhaltige Beseitigung der Symptome zu erreichen. (61-62)

Die systemische Beratung stellt den Menschen in seinen sozialen Bezügen in den Mittelpunkt – am Beispiel der Depression:

Aus systemischer Sicht … löste sich die Wirklichkeit ‚der‘ Depression in die oft sehr verschiedenen Sichtweisen des Patienten, der Angehörigen und Therapeuten auf, und auch im Laufe der Zeit zeigte ‚die Depression‘ immer wieder andere Gesichter. Der Therapeut aber hatte die Aufgabe, die nützlichsten Perspektiven herauszufinden und zu verstärken. (64)

Die lösungsorientierte Therapie sieht radikal ab vom Problem und schaut nur noch auf die Lösung:

Lösungsorientierte Therapie hat sich besonders bei Suchtkranken bewährt. Die sind durch sich selbst und durch ihre Umgebung oft sehr stark auf ihre Probleme konzentriert. Und sie erwarten natürlich, dass nun auch der Therapeut genau danach fragt, was bei ihnen denn so alles schiefgegangen ist.Doch dann sind sie erstaunt, dass man sie zunächst einmal fragt, wie es ihnen denn so alles schiefgegangen ist. (67)

Manfred Lütz. Irre! Eine heitere Seelenkunde. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2009.