Die Mitbegründer der modernen Psychologie im 19./20. Jahrhundert, Freud und Jung, waren sich der religiösen Dimension ihrer Arbeit stark bewusst . C. G. Jung schrieb:
Unter all meinen Patienten jenseits der Lebensmitte, das heißt jenseits 35, ist nicht ein Einziger, dessen endgültiges Problem nicht das der religiösen Einstellung wäre. Ja, jeder krankt in letzter Linie daran, daß er das verloren hat, was lebendige Religionen ihren Gläubigen zu allen Zeiten gegeben haben, und keiner ist wirklich geheilt, der seine religiöse Einstellung nicht wieder erreicht, was mit Konfession oder Zugehörigkeit zu einer Kirche natürlich nichts zu tun hat. (C. G. Jung, Gesamte Werke, § 509)
Von Sigmund Freud ist der Briefwechsel mit Oskar Pfister erhalten:
Ich weiß nicht, ob Sie das geheime Band zwischen der ‚Laienanalyse‘ und der ‚Illusion‘ erraten haben. In der ersten will ich die Analyse vor den Ärzten, in der anderen vor den Priestern schützen. Ich möchte sie einem Stand übergeben, der noch nicht existiert, einem Stand von weltlichen Seelsorgern, die Ärzte nicht zu sein brauchen und Priester nicht sein dürfen. Herzlich Ihr alter Freud
An Freud (10.9.26)
Ohne Zweifel wird es ein außerkirchliches Seelsorgeramt geben, sogar ein nichtreligiöses. Wenn nur Menschen gut und glücklich gemacht werden, mit oder ohne Religion, wird der liebe Gott freundlich lächelnd dieser Arbeit zunicken.
Ich befürchte, dass aktuelle evangelikale Seelsorgebewegungen zu stark Anleihen beim gut etablierten “ausserkirchlichen Seelsorgeramt” gemacht haben. Auf jeden Fall ist es wichtig, aus einer Meta-Perspektive die Heransgehensweisen zu reflektieren. Ich empfehle dazu:
1. Ron Kubsch beschreibt in seinem Aufsatz “Wieviel Psychotherapie verträgt die Seelsorge?” verschiedene Ansätze von Integration bzw. Desintegration von Seelsorge und Psychotherapie. Kubsch selbst fasst seine Position so zusammen:
Ich plädiere also – wenn man so will – für eine kritische Integration und für die Aufwertung der biblischen Botschaften innerhalb der Seelsorge.
2. Empfehlenswert ist zudem das Jahrbuch des Martin Bucer Seminars “Über die Wiederentdeckung des Glaubens in der Seelsorge”.
3. Kürzlich neu aufgelegt wurde Eric L. Johnson. Psychology & Christianity: Five Views. IVP 2010. Hier geht es zu einer Rezension.