Diagnose ADHS – ein Befund, über den sich die Fachleute uneins sind. Fakt ist: Die Verschreibungen von Ritalin steigen von Jahr zu Jahr an. Beat Tanner, Paar- und Familientherapeut, setzt sich seit Jahren nicht nur mit dem Thema auseinander, es ist eines der Spezialthemen innerhalb der Familienberatung. Er hat zum Jahresauftakt ein längeres Interview veröffentlicht.
ADHS-Symptome enthalten laut Tanner wichtige Botschaften an die Bezugspersonen, die entschlüsselt werden müssen:
Wir können die sogenannten ADHS Symptome auch als eine Kommunikation des Kindes mit bestimmten Botschaften an die Bezugspersonen verstehen. Diese sogenannte ADHS Kinder haben einen anderen Weg der Kommunikation gefunden. Sie teilen sich mehr durch Verhalten und weniger durch Worte mit. Werden diese Symptome und Verhaltensweisen jedoch richtig verstanden und reagieren Eltern und Lehrpersonen entsprechend darauf, lernt das Kind sich mehr verbal und weniger durch körperliche Symptome mitzuteilen. (…)
Das Verstehen und Entschlüsseln solcher Symptome und Verhaltensweisen sind oft nicht auf den ersten Blick ersichtlich und brauchen Zeit um verstanden zu werden. Wir können uns als Eltern fragen: Welche Stress-Situationen lösen ein bestimmtes Verhalten aus? Kennen wir die Ängste des Kindes? Zum Beispiel zu kurz zu kommen und genügend Beachtung zu finden. Allenfalls auch die Ängste vor weiteren Konflikten zwischen ihm und seinen Bezugspersonen. Kennen wir den verzweifelten Wunsch des Kindes nach Versöhnung? Die verzweifelte Frage des Kindes ist: „Ist es wieder gut zwischen uns? Kann ich zu dir wieder Vertrauen fassen?“ Oft will das Kind einfach nur provozieren, um die Erfahrung zu machen, wo die Grenzen sind. Unsere oft ärgerlichen Reaktionen macht die Eltern zu Tätern und das Kind zum Opfer: „Keiner versteht mich! Da ist nicht fair! Immer bin ich schuld!“ sind dann oft die typischen Reaktionen des Kindes.
Andererseits reagieren wir sehr schnell und hektisch und lassen vom gesellschaftlichen Druck des Perfektionismus unser Verhalten bestimmen und leiten. Diesen inneren Zwang, eigenen und gesellschaftlichen Anforderungen zu entsprechen, sind schädlich für die Beziehungen und können eben die sogenannten ADHS-Symptome auslösen und fördern.