Interview: Ich konsumiere, also bin ich glücklich? (Teil 2)

Zum ersten Teil des Interviews geht es hier.

Wie bist du in der Analyse des Konsumthemas vorgegangen?

Ich war erst einmal überrascht von den vielen Buchtiteln zum Thema. Eine umfassende Kritik unserer Konsumgesellschaft ist längst geschrieben. Ich bin also exemplarisch vorgegangen: Norbert Bolz ist Medien- und Kommunikationstheoretiker, Mathias Biswanger Volkswirt; beide Bücher stammen aus dem 21. Jahrhundert. David G. Myers ist Sozialpsychologe, Viktor Frankl Arzt und Psychologe aus dem 20. Jahrhundert. Francis Schaeffer war ein führender evangelikaler Denker aus dem 20. Jahrhundert, Blaise Pascal ein Universalgelehrter aus dem 17. Jahrhundert. David und Brett Harris sind beide Mitte Zwanzig und haben eine weltweite Bewegung von jungen Erwachsenen „The Rebelutionaries“ ins Leben gerufen.

Was kann ein Denker aus dem 17. Jahrhundert zum Thema beisteuern?

Ich sprach vor einigen Wochen mit einer Künstlerin, die zum Thema „Langeweile“ malt. Sie fragte mich nach schriftlichen Inspirationsquellen. Mir kam sofort Blaise Pascal in den Sinn. Pascal beschreibt in seinen Fragmenten das Streben des Menschen nach Glück. Geprägt von der biblischen Weltanschauung gibt er zu bedenken: Durch die Sünde ist der Mensch sich selbst entfremdet und seines ursprünglichen Glückes verlustig gegangen. Einzig die Sehnsucht danach ist ihm geblieben und erinnert ihn an sein ursprüngliches Glück. Langeweile ist ein Ausdruck der Spannung zwischen Sehnsucht und ausstehender Erfüllung. Konsumismus ist also ein Symptom für die Jagd des Menschen nach Glück.

Wie würdest du diese Jagd beschreiben?

Hier ist Norbert Bolz eindrücklich, auch wenn er sich eines deutschen Feuilleton-Stils bedient. Er beschreibt Konsumismus als Ersatzreligion. Die „kapitalistische Religion“ ist ein Kult der Ware. Alltägliche Waren werden mit „spirituellem Mehrwert“ aufgeladen. Geld ist technischer Ersatz für Gott. Da Geld den einzigen Sinn habe ausgegeben zu werden, stosse sie im Konsumenten „Dauerreflexion auf Konsummöglichkeiten“ an. Bolz gewinnt der Jagd einen positiven Aspekt ab: Die Habsucht zähme andere Leidenschaften.

Bist du auch der Meinung, dass Konsumismus eine legitime Ersatzreligion ist?

Ersatzreligion ja, legitim nein.  Wenn ich die Gedankengänge von Bolz auf den Mini-Marktplatz der Familie übertrage, sehe ich zwei Parallelen. Erstens: Konsum harmonisiert Familienbeziehungen, zumindest lenkt sie ab. Viele Überlegungen der einzelnen Familienglieder sind auf die Frage gerichtet: Was kann ich als nächstes konsumieren? Zweitens: Erlebnisse stimulieren, sie sind Ausweg aus der Langeweile. Darunter leiden langfristig die Beziehungen.

Ich denke jetzt an den Samstags-Shopping-Ausflug einer Kleinfamilie.

Das Bild passt. Bolz sagt: Shopping ist Lifestyle. Die Lust des Neuen hängt am Kaufakt, nicht am Besitz. „Konsum ist die rituelle Handlung, die aus allgemeinen Waren das individuelle Wahre schafft.“ Der Konsument betreibt ständig „Self-fashioning“. Sein Leben wird zum Stoff eines Kunstwerks. Der Wunsch nach einem Wunsch hat den eigentlichen Wunsch ersetzt. Der Konsument will verführt werden.

Entstehen dadurch langfristig nicht auch Sinnkrisen?

Doch. Genau dies beschreibt Viktor E. Frankl. Er berichtet von einem Studenten der von sich selber sagte, dass er mehr hat, als er verkraften kann – auf jeder Ebene, sich aber umso mehr mit der Frage konfrontiert sah: Wozu das alles? Die gleiche Sinnkrise ortet Frankl auch bei Arbeitslosen und bei Pensionierten. Frankl sagt darum: Der Mensch braucht Spannung, er braucht Verantwortung. Sein Sein ist im Wesentlichen ein verantwortliches Sein. 

Wie kann es dann zu einer Veränderung kommen?

Das Buch „Die Tretmühlen des Glücks“ hat meiner Frau und mir hilfreiche Anstösse zum Überdenken des eigenen Familien-Lebensstils gegeben, zum Beispiel:

  • Menschen sind dann glücklich, wenn sie mit anderen Menschen zusammen sein können. Ist das für uns eine Priorität?
  • Den klassischen Traum vom Eigenheim haben wir für uns beerdigt. Ebenso vom Familienvan. (Mit solchen Anschaffungen sorgen viele Familien dafür, dass ihre Ansprüche steigen, die Pendlerzeiten zunehmen und ein höheres Einkommen gesichert werden muss.)
  • Menschen mit hohem Einkommen haben weniger Freizeit und damit auch weniger Zeit, das zu tun, was Menschen glücklich macht. Es kann also kein Ansporn sein, noch mehr zu verdienen.
  • Auch unter Familien ist die “Ranking-Manie” spürbar: Es reicht nicht mehr aus, irgendetwas zu tun, sondern man muss immer auch wissen, wie gut man es im Vergleich zu anderen tut. Diesen ständigen Vergleich können wir uns getrost sparen.

Also bedeutet weniger Material auch weniger Termin- und Erwerbsdruck und damit mehr Zeit füreinander?

Ja. Entscheidend für nachhaltiges Wohlbefinden ist Aktion, nicht Konsumation, Gemeinschaft, nicht der Erwerb neuer Güter.

Was ist der Preis eines solchen Lebensstils?

Es bedeutet, dass an unseren gelebten Haupt-Werten „Wohlstand“ und „persönlicher Friede“ gerüttelt wird. Wir begehren nach immer mehr, und wir wollen in Ruhe gelassen werden. Diesen Pfad müssen wir verlassen.

Du bist begeistert von der Bewegung „The Rebelutionaries“. Sie haben in den Teenager-Jahren bereits den Weg verlassen. Der Titel ihres Buches lautet „Do Hard Things“. Welche harten Dinge sind da gemeint?

Die Gebrüder Harris haben mich vor allem deshalb beeindruckt, weil sie das westliche Paradigma „als Teenager musst du in den Ausgang gehen über die Schnüre hauen, dann wirst du glücklich“ über den Haufen geworfen haben. Ihre Message lautet: Tue gerade in dieser Zeit, schwierige Dinge! Sie definieren fünf Übungsfelder.

  • Tu Dinge, die ausserhalb deiner Komfortzone liegen.
  • Tu Dinge, die über das hinausgehen, was von dir erwartet wird.
  • Tu Dinge, die du nicht allein machen kannst.
  • Tu Dinge, die sich nicht sofort auszahlen.
  • Tu Dinge, auch wenn sie gegen die Strömung gehen.