Alle Religion wirft auch einen Segen für den Menschen ab, aber sie besteht nicht um des Menschen, sie besteht um Gottes willen. Er hat alle Dinge um seiner selbst willen geschaffen. (…)Frost und Hagel, Schnee und Nebel, die Abgründe und der Sturmwind, es muss alles Gott loben. Aber wie die ganze Schöpfung im Menschen gipfelt, so kann auch die Verherrlichung ihre Vollendung erst im Menschen finden, der nach Gottes Bild geschaffen ist; nicht weil der suchende Mensch, sondern weil Gott selbst den einzig wahren religiösen Zug durch das „semen religionis” allein in das Herz des Menschen schuf. Gott selber macht den Menschen religiös durch den „sensus divinitatis“, den Er auf den Saiten seines Herzens spielen lässt. Der Ausdruck der Not fliesst hier wohl mit ein, aber einzig infolge der Sünde; und ursprünglich ist die Religion nach ihrer Art ausschliesslich Ausdruck der Bewunderung und Anbetung, die erhebt und anzieht, nicht der Abhängigkeit, die scheidet und drückt. (…) Alles rechnet in der Religion von Gott und nicht vom Menschen aus. Der Mensch bleibt Werkzeug und Mittel, Gott allein ist Ursache und Ziel, Ausgangs- und Ruhepunkt, der Born, aus dem die Wasser fliessen und der Ozean, in den sie sich ergiessen. Irreligiös sein, heisst sein höchstes Lebensziel als Mensch verfehlen, und umgekehrt für Gott bestehen, um Gottes willen da sein und völlig in der Verherrlichung des Namens des Herrn aufgehen, das ist Kern und Stern aller wahren Religion: „dein Name werde geheiligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe“! – das ist die dreifache Bitte, die in jedem guten Gebet voransteht. Die Losung ist und bleibt doch: „Trachtet am ersten nach dem Königreich eures Gottes“, und denkt danach erst an eigene Not. „Aus ihm, durch ihn und zu ihm sind alle Dinge“. Vor allem das Bekenntnis von Gottes absoluter Souveränität! Das Gebet ist in aller Religion die tiefste Lebensäusserung.
Abraham Kuyper, Vorlesungen über den Calvinismus, 2. Vorlesung: Calvinismus und die Religion