Über den Unterschied und den Zusammenhang zwischen Lehre und Leben

Herzlichen Dank, Raphael, für diese Zuschrift, die den nötigen Ausgleich zum vorherigen Post darstellt. Ich stelle sie gleich eins zu eins auf den Blog.

Obwohl es darin primär um die Erziehung geht, ist zu fragen ob es Menschen überhaupt möglich ist, in Lehre und Leben übereinzustimmen. Ich zitiere aus einem Artikel von Prof. Udo Kern in “Koers : Bulletin for Christian Scholarship” über “Luther als protestantischer Katechet” [2009]:

Nach Calvin haben sich “Bischöfe und die Kirchendiener (ministri ecclesiarum) treu dem Dienst des Wortes (ministerium verbi) zu widmen.” Dieser besteht darin die pura et sincera doctrina (reine und echte Lehre) dem Volk weiterzugeben (tradere), und durch das Beispiel des eigenen Lebens (exemplum vitae) das Wort Gottes zu unterweisen (instituere). Auf die rechte, echte, reine Lehre kommt es auch bei Luther an, denn falsche Lehre (falsa doctrina) ist Entheiligung und Schändung von Gottes Namen. Für Luther ist jedoch himmelweite Differenz zwischen Lehren und Leben, zu konstatieren. Jene hat als doctrina dei (Lehre Gottes) reine Lehre (pura doctrina) zu sein, dieses (unser Leben) ist menschlich fehlbar: “Es ist ein gar großer Unterschied zwischen Lehren und Leben, so wie zwischen Himmel und Erde ein großer Unterschied ist. Das Leben mag wohl unrein, sündig und gebrechlich sein, aber die Lehre muss rein, heilig, lauter und beständig sein. Im Leben mag es fehlen, dass es nicht alles hält, was die Lehre will; aber die Lehre (sagt Christus) darf nicht an einem Tüpfelchen oder Buchstaben fehlen, obwohl das Leben ein ganzes Wort oder eine Zeile in der Lehre auslässt. Ursache ist dies: Die Lehre ist Gottes Wort und Gottes Wahrheit selbst; aber das Leben ist unser Mittun. Darum muss die Lehre ganz rein bleiben, und wer am Leben fehlt und gebrechlich ist, da kann Gott wohl Geduld haben und vergeben. Aber die Lehre selbst danach man leben soll, ändern oder aufheben, das kann und will er nicht leiden” (WA 30 III, 343, 23-33). Neben dem großen Unterschied von Lehre und Leben gilt doch auch für Luther der Zusammenhang von beiden. Pura doctrina gibt Hoffnung der Lebensverbesserung: “Wenn die Lehre rein bleibt, so ist Hoffnung, dass auch das Leben leicht gebessert wird (spes est vitae facile corrigendae)”, sagt Luther und illustriert das mit einer Metapher: “Der Sonnenglanz ist rein, wenn er gleich auf  Dreck fällt und scheint. Und Gott erhält etwas Heiliges (sanctum) unter uns, wenn wir […] fallen sollten. Das ist sein Wort, durch das wir alsbald den Irrtum verdammen. Das hält der Herr für groß und hat es lieb.” (WA 13, 688,13-17.) Für Luther gilt jedoch eindeutig aus soteriologischen Gründen die Priorität der pura doctrina vor dem Leben: “Es liegt nun bei weitem nicht so sehr am Leben wie an der Lehre: Wenn das Leben schon nicht so rein ist, kann dennoch die Lehre wohl rein bleiben; mit dem Leben muss man Geduld haben […]. Das Leben wird die Lehre nicht erreichen, solange wir hier leben.” Das sähen wir an dem nicht fehlerfreien und zuweilen Narrenhaften und Schwachheit ausmachenden Leben der Apostel. (WA 24, 607, 3-5.23-30.)

Hier hat Luther die Sache richtig gefasst.