Der Bruch im seelsorgerlichen Gespräch

Das Seelsorgegespräch verläuft sozusagen auf zwei Ebenen. Sein Stoff entstammt der allgemeinen menschlichen Lebenslage, und das Gespräch nimmt ihn auf, wie eben im Gespräch ein Tatbestand, ein Problem, ein Anliegen aufgenommen und mit Hilfe der sich uns darbietenden Gesichtspunkte psychologischer und allgemein weltanschaulicher Art bearbeitet wird. Aber dann geschieht es, dass im Verlauf des Gespräches selber diese zunächst sich darbietenden Gesichtspunkte in bestimmter Weise überboten werden durch die übergreifende Betrachtung aller Dinge, wie sie vom Worte Gottes her in Kraft tritt. Der Gegenstand, der zur Betrachtung steht, wird also im seelsorgerlichen Gespräch von seiner ihm eigenen Ebene weggenommen und hinübergerückt in das Licht des Wortes Gottes. Darum ist das seelsorgerliche Gespräch gekennzeichnet durch eine seinen ganzen Verlauf bestimmende Bewegung des Zugreifens und Wegnehmens, des Erfassens und Aufgreifens und Bearbeitens menschlicher Tatbestände unter ein völlig neues, alles Menschliche überbietendes Urteil … Das ganze Gespräch ist von Anfang an darauf gerichtet, dass es zu diesem Übergang komme.

Eduard Thurneysen, Seelsorge im Vollzug, zitiert in: Klaus Winkler. Seelsorge. De Gruyter: Berlin / New York 2000. S. 34-35.