Uns wird unendliche Freude angeboten – und wir geben uns mit so wenig zufrieden

Würde man heute zwanzig brave Männer fragen, welches in ihren Augen die höchste Tugend sei, so würden neunzehn von ihnen antworten: Selbstlosigkeit. Doch hätte man die grossen Christen der Vergangenheit gefragt, so hätten fast alle erwidert: die Liebe. Sehen Sie, was hier geschehen ist? Ein negativer Ausdruck hat einen positiven abgelöst, und das hat mehr als nur philologische Bedeutung. Der negative Begriff der Selbstlosigkeit hat den Unterton, dass nun nicht mehr in erster Linie das Gute für den anderen gesucht wird, sondern dass man selbst auf etwas verzichtet, so als ob unser Verzicht und nicht sein Glück das Wesentliche wäre.

Wenn heute in den meisten modernen Köpfen der Gedanke herumgeistert, der Wunsch nach unserem eigenen Wohlergehen und die Hoffnung auf seine Erfüllung seien etwas Schlechtes, so halte ich dem entgegen, dass dieser Gedanke sich über Kant und die Stoiker eingeschlichen hat, aber nicht Bestandteil des christlichen Glaubens ist. Ganz im Gegenteil. Wenn wir die geradezu schamlosen Verheissungen auf Belohnung und die phantastischen Belohnungen, die in den Evangelien verheissen werden, betrachten, scheint es, als müssten unsere Wünsche dem Herrn eher zu schwach als zu gross vorkommen.

Wir sind halbherzige Geschöpfe, die sich mit Alkohol, Sex und Karriere zufriedengeben, wo uns unendliche Freude angeboten wird – wie ein unwissendes Kind, das weiter im Elendsviertel seine Schlammkuchen backen will, weil es sich nicht vorstellen kann, was eine Einladung zu Ferien an der See bedeutet. Wir geben uns viel zu schnell zufrieden.

C. S. Lewis, Das Gewicht der Herrlichkeit, Brunnen: Basel 2005. (93-94)