Die meisten Aussenstehenden beginnen ihre Argumentation mit der „fehlenden Sozialisierung“. Ich sehe dies eher durch die Brille der Soziologie an: Neue Dinge, die den eigenen Denkrahmen sprengen, werden in aller Regel absorbiert, das heisst zurückgewiesen. Nur in den seltensten Fällen findet eine Integration der neuen Sichtweisen statt.
Meine erste Frage lautet in der Regel (nur bei Interessierten): Was verstehst du unter Sozialisierung? Die Standardantwort lautet: Es ist der Umgang mit Gleichaltrigen. Die Erlebnisse werden als unverzichtbar angesehen. Zusammen raufen, schummeln, blödeln, lachen, planen, schwitzen, spielen, essen, weinen, baden. In der weniger angenehmen, aber durchaus realistischen Variante: Einander sagen, wie blöd Lernen ist. Zusammen herumhängen und sich langweilen. Zusammen die erste Zigarette und den ersten Joint rauchen. Zusammen chatten, SMS’eln und im FB surfen. Zusammen auf Parties gehen. Zusammen Youtube-Clips anschauen. Ohne diese Erfahrungen, so lautet das Volksurteil offenbar, gehe das Kind einer wesentlichen, für das Menschsein konstitutiven Erfahrung verlustig.
Eine respektierte Fachperson, die nicht beim Namen genannt werden soll, bestätigte mir im Gespräch: Mit drei und mehr Kindern werden alle für den zwischenmenschlichen Umgang wesentlichen Erfahrungen in der Familie gemacht. Da bin ich mit fünf Söhnen im Altersabstand von jeweils zwei Jahren nochmals gut weggekommen, dachte ich mir. Die moderne Kleinfamilie ist erfahrungs-defizitär bzw. –arm (fünf von sechs Familien haben ein bis zwei Kinder). Die behüteten Kinder lernen mit Unwegsamkeiten und Hindernissen nicht mehr im Familienkontext umzugehen.