Dieser Meinung ist Jesper Juul, dänischer Familientherapeut. In diesem Interview meint er:
ADHS ist ein Lebensstilsymptom. Kinder werden heute gezwungen, den Lebensstil ihrer Eltern nachzumachen – obwohl die Eltern merken, dass sie selbst unglücklich sind. Vor 30 Jahren hatte unsere Gesellschaft noch mehr Zeit und Raum für Kinder. Wir haben den Kindern in den letzten Jahren dann rund zwölf Stunden Freizeit pro Woche weggenommen. Mit Freizeit meine ich wirklich freie Zeit, die nicht mit Aktivitäten verplant ist.
Juul empfiehlt möglichst viel unstrukturierte, unverplante Zeit:
Für diese Kinder ist es unheimlich schwierig, Empathie zu entwickeln, alleine zu spielen oder sich selbst zu beschäftigen, weil sie es gewöhnt sind, dauern abgelenkt zu werden. Sie verlieren den Kontakt zu ihren Wünschen und Bedürfnissen. Deshalb empfehle ich Eltern, ihren Kindern möglichst viel unstrukturierte Zeit zu ermöglichen und sie nicht ständig in durchgeplante Tagesabläufe einzuspannen. Eltern sollten sich Zeit für die Kinder nehmen, ohne diese Zeit ständig mit Aktivitäten zu füllen. Das ist sehr wichtig.
Kinder müssten sich auch langweilen können, meint Juul in einem weiteren Interview:
Viele Institutionen, die Nachmittagsbetreuung, Sportcamps und auch die Medien sind voll von Animationsangeboten. Sie haben alle eines gemeinsam: Sie bieten Eltern Ideen und Strategien an, um Langeweile bei ihren Kindern zu vermeiden. Ich möchte eine Lanze für die Langeweile brechen. … Eltern und Kinder sind Konsumenten geworden. Das führt dazu, dass vielen Kindern langweilig wird, sobald die externe Stimulation fehlt. Es ist ihnen fad ohne Computerspiele, DVDs und Fernsehen. Auch Kindertagesstätten und Schulen setzen auf externe Stimulation. Wenn Kinder dem den ganzen Tag lang ausgesetzt sind, erhalten sie eine Überdosis davon.
Hier geht es zum Interview mit Beat Tanner, der ADHS oft als Beziehungsstörung sieht. Die Symptome enthielten wichtige Botschaften für die Bezugspersonen.