Ich komme aus einer Phase intensiven Schreibens. Während den letzten zwölf Monaten habe ich fast täglich an der Dissertation gearbeitet. Eine Möglichkeit, um den intensiven Prozess zu verdauen, mich auf die nächste Wegstrecke auszurichten und andere am eigenen Lernen teilhaben zu lassen ist ein strukturierter Rückblick.
Der Start
Mein Professor meinte beim Initialtermin für die Dissertation: „Es fehlt dir ein wichtiger Schritt vom Amateur zum Gelehrten. Du musst ein Gesamtwerk studieren, zusammenfassen, beurteilen und auf eine aktuelle Fragestellung anwenden.“ Auf die Frage, welche Person dafür in Frage kommen würde, wusste ich die Antwort innert Sekunden. Herman Bavinck (1854 – 1921) war meine erste Wahl. Weshalb?
Bavinck war nicht nur systematischer Theologe, sondern durch sein berufliches Engagement stark in die Entwicklung der universitären Bildung involviert. Seine konfessionelle und politische Zugehörigkeit brachten zudem zahlreiche Auftritte im Umfeld der konfessionellen Privatschulbewegung seiner Zeit mit sich. Er erlebte gewaltige Veränderungen innerhalb seiner Lebenszeit. Die höhere Kritik der Bibel hatte das Schaffen der Theologen im 19. Jahrhundert radikal verändert. Darwin beendete seine Laufbahn, als Bavinck die Bühne betrat. Er las nicht nur Nietzsche, sondern setzte sich z. B. ebenso engagiert mit der Reformpädagogik nach der Jahrhundertwende auseinander. Er erlebte die rasche Industrialisierung der Niederlanden, beschleunigt durch den Handel mit den Kolonien. Selbst mitnichten ein Euphoriker, beobachtete er die „Trunkenheit“ der Völker durch den raschen technischen Fortschritt, aber auch die folgende Ernüchterung durch den Ersten Weltkrieg.
Seine Ideen blieben nicht in den Schubladen liegen, im Gegenteil: Nicht nur agierte er auf kirchenpolitischem Parkett an vorderster Front, als er die Vereinigung von zwei Kirchen mitgestalten konnte. Ebenso agierte er beispielsweise als (eher unglücklicher) Parteivorsitzender der Antirevolutionären Partei während deren „Peak“: Der langjährige Weggenosse Abraham Kuyper bekleidete von 1901 – 1905 das Amt des Ministerpräsidenten. In den Jahren danach wurden Weichen für das Bildungssystem die Niederlanden der nächsten Jahrzehnte gelegt, insbesondere die finanzielle Gleichstellung von öffentlichen und privaten Schulen.
Speziell fasziniert hat mich die Biographie von Bavinck auch darum, weil er aus einem pietistisch geprägten Hintergrund kam. Er rang sein Leben lang um eine Verbindung zwischen dem Erbe seiner Väter, sprich reformierter Frömmigkeit, und den drängenden Fragen der Moderne. In diesem Ringen war er ehrlich bemüht, die Heilige Schrift und die Bekenntnisse nicht zur Seite zu lassen, sondern in Kontakt mit dem gesamten Leben zu bringen. Dieser Hintergrund führte dazu, dass ich während der ganzen Zeit gebannt beim Thema blieb.