Ich habe hier und hier auf einen Artikel des Business-Guru Srikumar Rao reagiert. Er stellt die Behauptung auf, dass unsere Welt ein Konstrukt sei und es an uns liege, Erlebnisse zu dekonstruieren und zugunsten des persönlichen Glücks neu zu konstruieren. Im dritten Teil stelle ich meine Überzeugung über den menschlichen Zugang zur Wirklichkeit dar.
1. Ein Konstruktivismus von der Art, dass unser ganzes Sein inklusive der Realität ein Konstrukt sei, ist selbstwidersprüchlich. Der Konstruktivismus als Beantwortung auf die Frage nach dem Zugang zur Wirklichkeit ist zwar in verschiedenen Epochen der Weltgeschichte immer wieder populär gewesen (Skeptizismus). Er sucht eine menschliche Grundfrage, nämlich nach der Art und Weise, wie wir Menschen Erkenntnis gewinnen, zu beantworten. Er kann jedoch nicht einmal logisch zu Ende gedacht, geschweige denn im Leben umgesetzt werden.
Ich halte entgegen: Es gibt eine objektiv wahrnehmbare äussere Realität. Subjekt (Ich) und Objekt (Mitmensch, Natur) existieren. Zudem gilt: Zwischen dem Ich und dem Du bzw. dem Es gibt es Korrespondenz. Inwiefern? Wir können miteinander sprechen. Auch wenn ich nie die identische Sichtweise eines anderen Menschen einnehmen kann, ist ein Austausch von Vorfällen und Bewertungen möglich. Ebenso ist diese Welt für uns geschaffen, und wir sind für sie geschaffen. Das heisst, die Entfernung zur Sonne ist so eingestellt, dass wir überleben. Wir können uns von den Erzeugnissen dieser Erde ernähren, das heisst sie sind für unseren Organismus geschaffen. Ebenso haben wir über die Zeit manche Entdeckungen gemacht, welche die Bewohnbarkeit der Welt erleichtert. Ich denke etwa an die Schleusenanlagen in den Niederlanden, welche der Überflutung bei unterschiedlichen Wasserständen vorbeugen.
2. Der Konstruktivismus erfreut sich deshalb so grosser Beliebtheit, weil er mit dem ethischen Relativismus so gut Hand in Hand gehen kann. Wer sagt, dass es unethisch ist, wenn ein Mann eine Frau schlägt? Ist das nur ein aktuelles gesellschaftliches Übereinkommen? Woher kommt dann die unmittelbare Reaktion, dass wir uns darüber empören? Wie kommt es, dass sich auch Muslime darüber empören können? Gibt es so etwas wie ein universelles Sittengesetz? Hier werden mir meine westlich-zivilreligiösen Gesprächspartner widersprechen wollen. Das gibt es nicht, stattdessen nur soziale Konstruktionen.
Ich wiederum meine: Doch, es gibt ein universelles Sittengesetz. Ich erweitere den unter 1. abgesteckten Rahmen um eine weitere Dimension: Es gibt nicht nur ein Ich, ein Du und die Natur, sondern vor allem anderen einen persönlich-unendlichen Gott. Dieser Gott hat ein immer gültiges Sittengesetz eingerichtet, und er hat jedem Menschen eine Veranlagung dafür eingepflanzt. Diese innere Instanz macht sich typischerweise dann bemerkbar, wenn der Mensch Urteile über andere fällt. Das tut er am laufenden Band. Zudem hat sich Gott in Worten offenbart, die wir verstehen. In der Bibel hat er alle für den Menschen wesentlichen Normen festgelegt. Wir können darum wissen, dass die Körperverletzung eine Abweichung von diesem Gesetz ist. Ebenso wissen wir um das Gebot nicht zu lügen. Aus vielen anderen Stellen entnehmen wir jedoch, dass die Abgrenzung zu „verschweigen“ und „Notlüge“ so einfach doch nicht ist.
Auf die gleiche Art und Weise können wir ohne Zögern zustimmen, dass es unterschiedliche kulturelle Gepflogenheiten und unterschiedliche Perspektiven (Alter, Geschlecht, Nationalität, Erlebenszeit) gibt. Wir haben auch einen Begriff dafür, wenn im Manager das schlechte Gewissen aufsteigt. Sein Gewissen klagt ihn nämlich der Gesetzesabweichung an. Wir nennen es Sünde.
Ich bezeichne mich darum als kritischen Realisten. Realist darum, weil ich von einer Aussenrealität ausgehe. Kritisch darum, weil ich um meine beschränkte Perspektive und meine Sündhaftigkeit weiss. Insgesamt bietet mir dieser Rahmen ein zuverlässiges Fundament nicht nur in meinem Kopf, sondern vor allem in meinem Leben.