N. T. Wright war in der Schweiz zu Gast (siehe hier). Im Juni wird er an der Universität Fribourg vier Studientage zu Paulus halten (siehe hier). Ich habe mich mit Jochen Klautke, Mitglied des Leitungskreises von „Josia“, unterhalten.
Woher kommt der „Hype“ um N. T. Wright?
Ich glaube, dass der Evangelikalismus unserer Elterngeneration geprägt war durch eine Theologie, die sich wohl am besten durch die drei Schlagworte dispensationalistisch, fundamentalistisch und pietistisch kennzeichnen lässt. Dadurch wies die Bewegung ganz zentral zwei Wesensmerkmale auf: Weltflüchtigkeit und Zukunftspessimismus. Dazu kam an manchen Stellen eine moralische Rigidität, die über das biblische Maß hinausgeht.
Dazu ist N. T. Wright nun meines Erachtens der Gegenentwurf schlechthin. Das zeigt sich konkret in folgenden Punkten:
- Er ist optimistisch im Blick auf die Zukunft, verbunden mit einer irdischen Reich-Gottes-Erwartung, die wir selbst in gewissem Maße erwirken können.
- Er lehrt ein zusammenhängendes Metanarrativ der Bibel, betont also die Kontinuität der Bündnisse.
- Er wirkt in verschiedenen Bereichen entgrenzend und trifft so den Zahn der Zeit:
- Symptomatisch dafür ist seine Mitgliedschaft in der Anglikanischen Kirche (zwischen katholisch und evangelisch).
- Theologisch steht er zwischen den Liberalen und den Konservativen. Eine gewisse Offenheit zum Heilsuniversalismus ist beispielsweise nicht zu übersehen.
- Alle liturgischen Traditionen (von hochkirchlich bis freikirchlich, von traditionell bis emergent) können sich in ihm wiederfinden.
- N. T. Wright ist ein Denken in starren Traditionen und Schemata (z. B. offene und geschlossene Brüder, charismatisch und nicht-charismatisch) fern.
- Er dient auch als Brückenbauer zwischen Reformierten und Emergenten. Beide „theologischen Schulen“ greifen auf ihn zurück. Dadurch ähnelt er in gewissem Sinne dem New Yorker Pastor Tim Keller (wobei dieser in den meisten Punkten deutlich orthodoxer ist).
- Als (ehemaliger) Bischof von Durham und Professor in St. Andrews stellt er auch etwas vor der Welt dar. „Bischof von Durham“ zu sein hört sich einfach besser an als „Präses eines freikirchlichen Verbandes“.
- Die (staatliche) Professur steht für intellektuelle Integrität.
Wie wirkt er als Person auf dich?
Vieles an N. T. Wright ist tatsächlich faszinierend. Man muss neidlos anerkennen, dass er einfach gut und interessant schreibt. Auch die Verknüpfung von Lebenswelt und Theologie gelingt ihm in vielen Bereichen sehr gut. Biblische Erkenntnis vermittelt er so, dass die Empfänger sofort wissen, was dies mit ihrem Leben zu tun hat. Auch darin ist er Tim Keller nicht unähnlich.
Ich beobachte bei mir selbst, dass ich dazu neige, mit Begriffen wie beispielsweise „Segen“ und „Ehre“ um mich zu werfen ohne einen tatsächlichen Bezug zur Lebenswelt meiner Zuhörer hergestellt zu haben. Wir haben jedoch oftmals kein Bild davon, was hinter diesen Begriffen steht. Diese abstrakten Begriffe verknüpft N. T. Wright nachvollziehbar mit der Lebenswelt und bettet sie gekonnt in ein Metanarrativ ein.
Das darf aber eben nicht darüber hinwegtäuschen, dass N. T. Wrights Theologie in vielen entscheidenden Punkten höchst problematisch ist. Vor allem seine Rechtfertigungslehre ist ganz einfach unbiblisch und widerspricht dem, was unter bibeltreuen evangelischen Christen seit Martin Luther unumstritten war. Ehrlich gesagt finde ich es erschreckend, wie unkritisch Wrights Rechtfertigungslehre im evangelikalen Lager rezipiert wird. Die Folgen für die Gemeinde werden meines Erachtens deutlich unterschätzt.
Seine Umdeutung der Rechtfertigungslehre stellt zudem etwas (zumindest für die Evangelikalen) Neues dar. Leider brauchen wir Christen mittlerweile alle paar Jahre etwas Neues. Meine (vorsichtige) Prognose lautet darum: In fünf bis zehn Jahren wird Wright – ähnlich wie Bill Hybels – in den evangelikalen Annalen verschwunden sein. Das bedeutet nicht, dass er vollständig vergessen wird. Vielmehr wird er wohl einfach abgelöst von einem neuen Trend und „schrumpft auf Normalmaß“. Mich stimmt es sehr traurig, dass wir nicht mehr aus zeitlosen Wahrheiten leben, sondern uns zunehmend von Trend zu Trend hangeln.