Beat Tanner, Paar- und Familientherapeut, hat wichtige Überlegungen zur Ethik der Arbeit angestellt.
„Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“ – Wer kennt dieses Sprichwort nicht? Haben wir Eltern diese Lebensweisheit unseren Kindern nicht schon oft ans Herz gelegt oder es wenigstens versucht? – Auch ich habe das Sprichwort von meinen Eltern gelernt und selbst schon gebraucht. Es scheint eine grosse Hilfe zu sein, um Kinder zum Pflichtbewusstsein zu erziehen. Im Nachdenken über Familienwerte begann ich jedoch an dieser Sicht ernsthaft zu zweifeln. Zwar bezweifelte ich nicht, dass dieses Sprichwort eine gute und sinnvolle Lebensweisheit sei, die denen, die sie anwenden, Wohlstand und Segen bringt. Aber was machte mich denn plötzlich so stutzig?
Mir ist aufgefallen, dass die elterliche Aufforderung an die Kinder, etwas im Haushalt zu helfen, Hausaufgaben oder ihr „Aemtli“ zu erledigen, oft als etwas Bedrohendes, gar Schlimmes wahrgenommen wird, das es unter allen Umständen zu vermeiden gilt. Fast wie einer ansteckenden Krankheit gehen die Kinder der „Arbeit“ aus dem Weg; ausser dann vielleicht, wenn für die Mithilfe im Haushalt eine Belohnung oder Entschädigung winkt. Das Kind teilt seine Welt bereits in „Arbeit“ und „Vergnügen“ ein.
Und wie steht es bei uns Erwachsenen? Haben wir nicht auch eine dualistische Auffassung von Arbeit und Vergnügen, die unser Leben in zwei Teile trennt: „Endlich ist Wochenende!“ – „Ich bin so froh, dass wir bald Ferien haben, dann können wir wieder einmal so richtig ausspannen!“ – Wen wundert es, dass unsere Kinder die Welt ebenfalls in „harte Arbeit“ und „ach so schöne Freizeit“ unterteilen?
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Jetzt begann ich zu verstehen: Wenn aus Arbeit und Vergnügen zwei derart verschiedene Dinge geworden sind, die sich nicht miteinander vertragen, lässt sich leicht nachvollziehen, warum wir die Arbeit mit allen Mitteln zu vermeiden suchen und nur noch auf die Freizeit, die Ferien und das Wochenende hin leben. Das Vergnügen und die Arbeit haben sich im wahrsten Sinne des Wortes auseinandergelebt. Die Arbeit, die die ältere Generation trotz aller Entbehrungen(!) als sinngebend und erfüllend empfunden hat, wurde für uns immer mehr zu einem Schreckgespenst. Arbeit gehört seit jeher zum Leben.
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Wenn wir nun zur Situation in unseren Familien zurückkehren, stellt sich die Frage, wie wir in unserem Haus eine Atmosphäre schaffen können, die die heutige Kluft zwischen Arbeit und Vergnügen in unserer Gesellschaft (und auch in unseren Kirchgemeinden) überbrückt. Denn Arbeit und Vergnügen sind keine Gegensätze, sondern eine untrennbare Einheit! Sie dürfen und müssen zwar unterschieden, aber niemals voneinander getrennt werden. Darum wollen wir unsere eigene Weltsicht hinterfragen:
- Erinnere ich mich immer wieder daran, dass wir vor dem Gnadenthron Gottes stehen (Hebräer 4, 15f) und zu seiner Ehre leben?
- Brauche ich das Fernsehen, um von einem grossen Stress abschalten zu können?
- Wie gehen wir mit unseren Ferien um? Sind sie für uns die einzige Hoffnung auf Erholung?
- Kennen wir Worte, wie: „Wenn nur endlich Ferien wären…“ – und machen so künstlich eine Kluft zwischen Arbeit und Freizeit?
Wie können wir aber unseren Kindern vermitteln, dass Arbeit etwas „Süsses“ und nicht etwas „Schlimmes“ ist? Dazu ein paar Anregungen:
- Habe ich die Geduld, um mein 4-jähriges Kind mithelfen zu lassen, zum Beispiel die Wäsche an den Windelständer aufzuhängen?
- Muss die „Arbeit“ des Kindes genau meinen Erwartung entsprechen oder darf es gut sein, weil das Kind das Beste für sein Alter gegeben hat?
- Korrigiere ich mein Kind bei seiner Mithilfe in einem wohlwollenden Ton, oder kritisiere ich es? Anstatt zu sagen: „Das macht man so!“, können wir uns zum Beispiel mit den folgenden Worten dem Kind zuwenden: „Komm, wir machen das so!“
- Geniessen wir mit dem Kind gemeinsam eine Arbeit oder setzen wir uns selber ständig unter Zeitdruck? Und geniessen wir dann auch mit dem Kind zusammen die Freizeit oder eine Stärkung nach getaner Arbeit?
- Ist das Taschengeld des Kindes eine Selbstverständlichkeit oder eine „Frucht der Arbeit“, die eingefordert und mehr geliebt wird als die Beziehung zu den Eltern und zu Gott? Oder gehört das Taschengeld zur „Süsse“ der Arbeit, die zur Dankbarkeit und Freude führt?
Siehe dazu die Weisheit aus dem Prediger:
„Aber immer ist ein König, der dafür sorgt, daß das Feld bebaut wird, ein Gewinn für das Land. Wer Geld liebt, wird vom Geld niemals satt, und wer Reichtum liebt, wird keinen Nutzen davon haben. Das ist auch eitel.” (Prediger 5, 8-9)