Gedanken zum Jahreswechsel: Die Macht bewegter Bilder

Den ersten Beitrag des neuen Jahres widme ich bewusst dem Einfluss bewegter Bildfolgen, die auf uns einstürmen. Auf allen Kanälen erreichen sie uns: Am Fernseher, auf dem Laptop, auf dem Smartphone, in der Schalterhalle der Post und neuerdings sogar in Bus und Strassenbahn. Wir ziehen uns Filme und Clips nicht mehr nur auf dem Sofa, sondern auch in Bett und Badewanne und unterwegs rein.

Das Rätsel

Manche Gesprächspartner wischen meine Frage nach dem Einfluss von Filmen mit einer Handbewegung weg. Das Standardargument: „Ich entspanne mich dabei.“ Diese Antwort vermag mich nicht zu befriedigen. Scheinbar stecken sie den Datenschrott, der ihr Gehirn überflutet, einfach weg. Sie schlafen vor dem Bildschirm sogar ein. Doch ist damit der Einfluss wegdiskutiert? Was sind die Langzeitfolgen von wöchentlich zwischen 15 und 35 Stunden Konsumation? Welche Gewohnheiten werden etabliert, welche anderen abtrainiert?

Die Gewissheit

Bei der Beobachtung meiner Söhne ist mir in der realen Welt einiges klar geworden. Ich kann die Unterschiede zwischen Filmkonsum und Enthaltsamkeit zuverlässig beschreiben. Erstens: Die kindliche Aktivität, insbesondere die eigenen Ideen zum Spielen, Basteln und Lesen, geht drastisch zurück. Zweitens: Das Gesprächsthema ändert sich. Die Buben reden am Tisch, unterwegs und unter sich pausenlos von den Filmen. Einer meiner Buben meinte zu mir: „Hast du gemerkt? Einige Takte Film schauen, und wir reden alle davon.“ Drittens: Die Anregung verlangt nach Wiederholung. Vom Grössten bis zum Kleinsten bestürmen sie mich, die nächste Einheit darzubieten.

Die Wirkung

Ich meine drei Wirkfaktoren aufzählen zu können: Stimulation. Das Gehirn wird durch Bilder stimuliert. Sie lösen eine angenehme Reaktion aus. Ablenkung. Durch Filme lasse ich mich auf andere Geschichten und Gedankengänge ein. Das lenkt vom eigenen Leben ab. Betäubung. Dieser dritte Effekt beschreibt eine Verstärkung der ersten beiden. Durch Stimulation und Ablenkung wird eigene Aktivität in den Hintergrund gerückt. Das hört sich wie eine Beschreibung von Suchtverhalten an – und ist es auch.

Die Metabotschaft

Nun bin ich kein absoluter Filmgegner. Ich bin einfach besorgt darüber, dass ein Medium eine solche Gewalt über uns gewinnen darf und kann. Neben den direkten Effekten beobachte ich eine übergeordnete Gefahr: Die Geschichten (sogenannte „Storylines“) vermitteln alle übergeordnete Botschaften. Die Filmregisseure, ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht, operieren mit einer bestimmten Weltsicht. Es lohnt sich bei jedem Film zu fragen: Welche indirekten Botschaften werden geschickt? Was wird als gut bzw. böse hingestellt? Welche Handlungsempfehlungen werden gesendet?

Der Einstieg

Lass mich noch einen (unangenehmen) Aspekt beleuchten. Ich beobachte mit Besorgnis die zunehmende Sexualisierung der Filme. Auf der Suche nach intensivierter Stimulation suchen die Produzenten das Publikum mit immer waghalsigeren Szenen zu bannen. Ich befürchte, dass Filme als Sprungbrett für den Konsum von pornografischen Inhalten dienen. Wenn ich mir die Statistiken über den Konsum von Pornografie anschaue, vermute ich, dass virtueller Sex das Haupteinfallstor zur Verseuchung unseres Inneren darstellt.

Noch etwas?

Ja. Ich bin fasziniert über manche Clips. Sachverhalte können einfach erklärt, Naturereignisse einzigartig schön wiedergegeben, Musik ins Wohnzimmer transportiert werden. Auch Spielfilmen gewinne ich positive Aspekte ab. Sie sprechen Menschen oft in ihren innersten Bedürfnissen und Sehnsüchten an. Ich glaube jedoch, dass diese in Worte gefasst, besprochen und überdacht werden müssen. Warum sprechen mich einzelne Darsteller und Handlungen an? Warum bewegen sie mich zum Lachen, Nachdenken oder rühren mich zu Tränen?

Virtuelles Leben raubt Kraft für reale Begegnungen

Ich kenne eine Frau, nennen wir sie Angelika. Sie hat mich eine wesentliche Lektion gelehrt. Sie meinte: „Ich ertrage die Bilder vieler Filme schlecht. Sie verfolgen mich nachts. Darum habe ich beschlossen, auf diese Filme zu verzichten.“ Dieselbe Frau versteht es jedoch wie kaum eine andere, mit schwierigen Situationen im realen Leben zurecht zu kommen. Sie verfügt über Talent, in verfahrenen Situationen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Darüber bin ich ins Nachdenken gekommen: Könnte es sein, dass uns unser virtuelles Leben Kraft für wirkliche Begegnungen raubt? Ein Gedanke, den ich für 2015 mitnehmen werde.