Blogjubiläum (14): Plädoyer für formulierte Gebete, gegen verkehrte Spontanität

Ich bin Hanniel dankbar, anlässlich des fünfjährigen Jubiläums seines Blogs, einen kleinen Artikel beitragen zu dürfen. Ich möchte ihn für ein Plädoyer nutzen.

In der Bitte der Jünger, „Herr, lehre uns beten!“ (Lk 11,1) steckt die tiefe Einsicht, Beten lernen zu müssen. Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) schreibt darüber in dem Büchlein Das Gebetbuch der Bibel. Eine Einführung in die Psalmen:

Beten-lernen, das klingt uns widerspruchsvoll. Entweder ist das Herz so voll, daß es von selbst zu beten anfängt, sagen wir, oder es wird nie beten lernen. Das ist aber ein gefährlicher Irrtum, der heute freilich weit in der Christenheit verbreitet ist, als könne das Herz von Natur aus beten. Wir verwechseln dann Wünschen, Hoffen, Seufzen, Klagen, Jubeln – das alles kann das Herz ja von sich aus – mit Beten.

Ich springe in die Gegenwart. Seit ca. einem halben Jahr bin ich Mitglied und Praktikant in der Selbstständigen Evangelisch-Reformierten Kirche (SERK) Heidelberg. In unserem Gottesdienst habe ich zum ersten Mal ganz hautnah die Praxis schriftlich formulierter Gebete kennengelernt. Das Verfassen dieser Gebete hat im Vorfeld Zeit gekostet. Sie sind nicht spontan und formlos. Die Formulierungen sind gespickt mit Bibelversen, denn sie wurden über der offenen Bibel verfasst. Sie stellen die Fülle des Charakters, der Eigenschaften und der Taten Gottes vor Augen und sind bemüht die zahlreichen Verheißungen seines Wortes zu ergreifen, um kraft des Heiligen Geistes die ganze Gemeinde im Namen des Sohnes vor den Thron des Vaters zu bringen. Auf diese Weise belehren sie zugleich die Gemeinde über das Gebet (vgl. einen Artikel D. A. Carsons über Joh 11,41f).

So eine Praxis ist für viele ein Anstoß. Wir befürchten, dass formelle oder nach bestimmten Regeln geordnete Anbetung unsere Emotionen unterdrücke und nicht authentisch sei. Unter der Überschrift „Warum ich der informellen Liturgie überdrüssig bin“ schrieb Hanniel letztes Jahr einige Gedanken zur Gottesdienstpraxis vieler Gemeinden, die mich beschäftigt und ermutigt haben:

Unter dem Deckmantel der Spontanität und der Nähe zum Alltag etablieren sich dabei oftmals verkrustete, vorhersehbare und banale Programme. … Wer zudem nicht auf den inhaltlich reichhaltigen Schatz aus der Geschichte der Kirche zurückgreifen kann (wir wollen ja nicht altmodisch sein), verirrt sich leicht im Dschungel der Alltagserfahrung. Gerade diese möchte ich jedoch wenigstens für ein, zwei Stunden am Sonntag hinter mir lassen.

Was für den Gottesdienst im Besonderen gilt, gilt auch für meine privaten Gebete, und das Eintreten für ehrliche, von Herzen kommende Anbetung ist auf jeden Fall unerlässlich. Aber bemerken wir nicht gerade privatim, dass unsere Gebete oftmals so vorhersehbar und auf wenige Vokabeln beschränkt sind, dass sie kaum als spontan bezeichnet werden können? Meine eigenen Gebete sind oftmals unüberlegt, durcheinander und ohne jeden Bezug zum Wort und damit zum Charakter, zu den Taten, Verheißungen und Befehlen Gottes.

Es lohnt sich, dass wir wieder intensiver über die Inhalte und die Form unserer Gebete nachdenken. Wie fürs Auslegen der Bibel gilt auch hier, dass wir nicht die ersten sind die beten. Die Kirche hat sich immer darum bemüht, ihren Gliedern beim Beten zu helfen, indem sie Gebetbücher verfasst und formulierte Gebete schriftlich festgehalten hat. Und damit tat sie nichts anderes, als die Tradition der Psalmen und des Unservaters fortzuführen. Ganz konkret: Der erste Nutzen des Lernens von Bibelversen – und dabei lernen wir sie auch am besten – besteht darin, dass sie die Sprache unserer Gebete werden. Ich lerne gerade Psalm 3 als tägliches Morgengebet zu sprechen, und nichts hat meinen Gebeten bisher so eine tiefe, biblische Füllung und Orientierung gegeben, wie das Beten anhand des Heidelberger Katechismus. Ich komme damit zum Schluss noch einmal zu Bonhoeffer zurück:

Gottes eigene Worte nachsprechend, fangen wir an zu ihm zu beten. Nicht in der falschen und verworrenen Sprache unseres Herzens, sondern in der klaren und reinen Sprache, die Gott in Jesus Christus zu uns gesprochen hat, sollen wir zu Gott reden und will er uns hören.

Über mich (Raphael Schuster): Ich bin Jahrgang 1988, studiere zurzeit Theologie an der Theologischen Universiteit Kampen (TUK) in den Niederlanden. Mein Hauptinteresse im Masterstudiengang gilt der Kirchengeschichte. Es ist mein Wunsch Pastor zu werden. Ich bin Mitglied der SERK Heidelberg. In meiner Freizeit spiele ich Squash und lese gern.