Auf den zehnten Geburtstag erhielt mein Zweiter ein wunderschönes Longboard von seiner Patentante. Es rollt fast von selbst und ist mit einer wunderschönen Oberflächenbemalung versehen. Sorgsam stand mein Sohn auf dem neuen Brett. Er überstand die ersten Fahrten ohne Sturz, das Board blieb ohne Kratzer. Nach dem Gebrauch wurde es behutsam in einer Ecke des Kellers parkiert. Als der Vater an einem der folgenden Tage sich durch den Kellerraum kämpfte, stand ihm das Longboard im Weg. Er nahm es in die Hand und überlegte sich einen besseren Platz. Ihm fiel nichts Besseres ein, als es sorgfältig (und unüberlegt) in einer Ecke aufzustellen. Kurze Zeit später holte es der Junior aus der „Garage“. Entsetzt musterte er die Kante des Bretts. Das Board wies die ersten Lackschäden auf. Wer war der Täter?
„Es tut mir leid.“ Das war alles, was ich im ersten Moment der Enttäuschung hervorbringen konnte. Der Bub verschwand im Keller, mit Tränen in den Augen. Ich suchte ihn und wollte mit ihm sprechen. Es sollte nicht sein, dass sich der Eindruck festsetzt, dass Papa ihm das Schönste zerstörte, was er hatte. Nur widerwillig liess er das Gespräch zu. Die Kratzer schmerzten.
Später sassen wir auf dem Sofa. Erst zu diesem Zeitpunkt war Raum für ein tiefer gehendes Gespräch. Wir stellten fest, dass wir alle Gegenstände haben, bei denen wir keine Kratzer dulden. Manchmal sind diese Gegenstände materieller Natur, andere Male geht es um Vorhaben und Projekte. Hinter all diesen Dingen steht die wichtige Frage: Worauf richtet unser Herz sein Begehren? Mein Bub fragte: „Papi, hast du auch solche Dinge?“ Ich musste zugeben: Ich habe auch solche Dinge, bei denen es nur eine Devise "alles oder nichts" gibt.
Meine Frau hatte eine gute Idee. Als „Wiedergutmachung“ meiner Gedankenlosigkeit suchte sich mein Bub ein Paar Turnschuhe aus, die er am selben Tag noch abholte. Viel bedeutsamer waren jedoch unsere Überlegungen: Der erste Kratzer am Longboard ist eine Frage der Zeit. Es stellt sich die Frage des Stellenwerts. Muss es alles oder nichts sein? Anfangs meinte der Junge, er lasse das Board einfach stehen. Wir sprachen weiter über das (generationsübergreifende) Muster von „alles oder nichts“. Weshalb neigen wir dazu, einen derartigen Perfektionismus aufzubauen? Es wäre zu wenig weit gegangen, das schlechte Gewissen zu beruhigen. Wir mussten dem tieferen Grund des Schmerzes nachgehen.
Diese Begebenheit hat mir gezeigt: Es ist wichtig, solche Vorfälle zu thematisieren. Wer hinschaut, entdeckt Motive unter der Oberfläche. Diese betreffen nicht nur das Kind, sondern ebenso die Eltern. Dann geht es darum, diese Motive vor Gott zu bekennen und ihn um Hilfe zu bitten. Nachher kommt der Moment, neue Schritte zu machen. In geschilderten Beispiel bestand dies darin, dass sich mein Junge einen Ruck gab: „Jetzt steige ich wieder drauf.“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.