Buchbesprechung: Ging Gott ein Risiko ein?

Steven B. Cowan. Craig Branch. (Hg.) Open Theism: Making God Like Us. The Areopagus Journal of the Apologetics Resource Center. Volume 4, Number 1. 70 Seiten. 3 Euro.

Ein Gott, der ein Risiko eingeht

Gott kann (oder will) zukünftige Entscheidungen freier Geschöpfe nicht vollständig voraussehen und die Schöpfung nicht mehr ganz kontrollieren. Gott geht damit ein Risiko ein. Er öffnet sich gegenüber den wechselnden Realitäten der Geschichte. Dies geschieht aus Sorge um seine Geschöpfe. Aus seiner Liebe heraus lässt er sie an seiner Herrschaft teilhaben. Die Theologen der klassischen Gotteslehre hätten in den letzten 2000 Jahren aufgrund des Einflusses der Griechen die Kirchengeschichte falsch gelesen. Das sind einige Behauptungen von Vertretern des Open Theism.

In die Hab-Acht-Stellung gehen

Im Verlauf einer Online-Diskussion schrieb mir ein Gesprächspartner:

Wer den "Open Theism" intelligent analysieren und konstruktiv-kritisch diskutieren will in allen seinen Facetten, mit allen seinen Folgen und in allen seinen Schulrichtungen, die es mittlerweile gibt, auch im Für und Wider der Argumentationsmöglichkeiten, dann habe ich nichts dagegen. Will man allerdings still und heimlich und unterschwellig diese obskure Idee eines "Open Theism" als rechtgläubig kompatibel zur biblischen Offenbarung und als Alternative zur klassischen Gottes- und Gnadenlehre unter das "evangelikale Volk" mischen, gehe ich in "Hab-Acht-Stellung".

Diesen Gedanken kann ich nur zustimmen. Die Evangelical Theological Society, die Vereinigung evangelikaler Theologen in den USA, hatte um 2000 herum intensive Diskussionen bezüglich Open Theism (hier sind die wichtigen Papers von der Konferenz 2003 zu finden). Ausgangspunkt für den Aufruhr bildete das 1994 erschienene Buch von Clark Pinnock et. al. „The Openness of God. A Biblical Challenge to the Traditional Understanding of God”. Nur hauchdünn wurde der Antrag, die Open Theists aus der Gesellschaft auszuschliessen, abgelehnt. Nötig wäre eine Zwei-Drittels-Mehrheit gewesen. 2014 später stellt Jeff Robinson in seinem Artikel “Is Open Theism Still a Factor 10 Years after ETS Vote?” fest, dass die Diskussion in Gelehrtenkreisen zum Stillstand gekommen sei. Nur die Verbreitung über die Blogosphäre halte an. Auf diese Weise gelangt die Botschaft zum Kirchenvolk. Warum? Weil es in unsere Zeit und zu unserem aktuellen Gottesverständnis passt.

Gott uns gleich machen

Die apologetische Zeitschrift "Areopagus" widmete sich in einer Ausgabe von 2004 dem Thema des Open Theism. Spannend (und meiner Beurteilung nach treffend) ist die Auswahl der Beiträge. Zuerst stellt Bruce A. Ware (der 2001 und 2003 zwei wichtige Bücher zur Thematik veröffentlicht hat) den heilgeschichtlichen Fokus in Frage. Welches Verständnis im Hinblick auf Geschichte und Zukunft wird durch dieses Gottesbild vermittelt? Im zweiten Beitrag weist A. B. Caneday auf eine hermeneutische Falle hin, nämlich eine irreführende Definition, die Bibel „wörtlich“ zu nehmen. Im dritten Beitrag geht R. K. Wright auf die „Freie Wille“-Debatte ein und gibt einige wichtige Argumente gegen eine irrige Gegenüberstellung von „deterministisch“ vs. „libertinistisch“ weiter. Vor allem die beiden ersten Beiträge vermochten mich zu überzeugen; der dritte war mir zu kurz, ja erschien mir dadurch ver-kürzt.

Heilgeschichtliche Einwände

  1. Argument: Although God always knew sin was possible, it was not at all probable, plausible, or expected that his human creatures would turn their backs on him.
    Einwand: Given the nature of libertarian freedom and the fact that the first humans sinned while in a perfect environment, I see no ground for optimism that Gods project will succeed.
  2. Argument: Openness proponents point to Jeremiah 3:7 and 32:35 for biblical support for the notion that God can have mistaken beliefs. Added to this is the fact that God may also reassess what he himself has done and judge that it was not best.
    Einwand: What confidence can we have in a God who must second-guess his own actions? What does this tell us about the wisdom of Gods own plans?
  3. Argument: Divine guidance, rather, must be viewed primarily as a means of determining what is best for us now.
    Einwand: If God’s present purposes may be frustrated by unforeseen free actions of his creatures, what basis is there for believing that God's ultimate purposes and promises will be fulfilled in the echelon?

Hermeneutischer Einwand

Argument: Man muss die Bibel wörtlich, d. h. beim Wort, nehmen. Dies gilt auch dann, wenn Gott etwas bedauert oder wenn er etwas durch eine Frage in Erfahrung bringt.

Einwand: Es liegt ein falsches Verständnis von „literal“ und „real“ vor, denn es wird im Gegensatz zu „figurativ“ und „metaphorisch“ gesetzt. Das lässt die Möglichkeit eines Anthropomorphismus nicht mehr zu.

Philosophischer Einwand

Kompatibilisten definieren „frei“ wie folgt:

A person is free (and responsible) when he does some action x as long as his doing x was what he wanted to do.

Diese Sicht ist sorgsam zu unterscheiden von der libertinistischen:

He does some action x if and only if he could have done something other than x under the same conditions.

“Libertarian free will” is meant the view that the human will has the innate power to choose with equal facility, either of any two alternatives presented to it by the mind, whenever a choice must be made.

Die zweite Sichtweise wird in der Diskussion ohne (biblische) Beweisführung einfach vorausgesetzt! Sei entbehrt jedoch einer biblischen Grundlage.

Fazit

Es geht mir nicht darum, kalten Kaffee aufzuwärmen. Leider nimmt die Verbreitung der Gedanken des Open Theism an deutschsprachigen evangelikalen Ausbildungsstätten zu. Ich sehe auch einen Grund dafür: Es ist Mode, uns „Gott von unten her“ zu denken. Das heisst – um an den Titel der Zeitschrift anzulehnen – wir erschaffen uns Gott nach unserem eigenen Bild. Wir blicken in uns hinein und rücken dann Gottes Bild zurecht. Das Resultat davon sieht nicht nur so aus, dass Gott substanziell Liebe sei, sondern dass er uns als Gegenüber wesentlich an seinen Handlungen mitbeteilige. Das Spannungsfeld zwischen Gottes Souveränität und dem verantwortlichen Handeln des Menschen wird so gegen das Gesamtzeugnis der Bibel in Richtung „Mitbeteiligung des Menschen am Regierungshandeln Gottes“ aufgehoben. Die Auswirkungen sind weitreichend: Auf der einen Seite erscheint die Geschichte vom Leid der Welt in anderer Sicht. Man kann, so scheint es, Gott aus der Verantwortung nehmen. Die Perspektive hat radikale Auswirkungen auf unser Verständnis von Gebet, aber auch auf die Seelsorge. Sie beraubt uns letztlich der Hoffnung auf einen souveränen Gott. Und sie nimmt uns den wichtigen Antrieb, Christus allen Menschen auf der ganzen Erde zu verkündigen. Wer diese Auswirkungen ins Blickfeld nimmt, dem wird es ähnlich gehen wie mir selbst. Ein solcher Gott ist eine Karikatur dessen, wie ihn dessen eigene Offenbarung in der Bibel darstellt!

Craig Branch stellt in der Einleitung richtig fest: Eigentlich führen Vertreter des Open Theism die Diskussion, die mit Augustinus und Pelagius begonnen hatte, in der Reformationszeit zwischen Luther und Erasmus, später von Arminius und der Synode von Dordrecht, im 18. Jahrhundert zwischen Wesley und Whitefield weitergeführt wurde, fort und radikalisieren sie. Sie denken sie aus modernistischer Sicht fertig („open theism is a logical and consistent extension of Arminianism“).  Damit sind sie am ehesten mit den Socinianern des 16. Jahrhunderts zu vergleichen. Nichts Neues also unter der Sonne.