Kolumne: Ich sei ein Kopfmensch

Immer wieder habe ich es gehört: Ich sei ein Kopfmensch.

Den Glauben muss man leben.

Das entspricht dem Ideal des evangelikalen Frommen.

 

Meine Antwort lautet:

Gott hat mich mit einem denkerischen Schwerpunkt auf die Welt kommen und in einer denkenden Familie aufwachsen lassen.

Er hat mir von Kindsbeinen auf Freude am Lesen geschenkt.

Nicht nur Romane lese ich, nein, auch komplizierte theologische und philosophische Literatur.

 

Ja, ich höre schon den Einwand: Des Büchermachens ist kein Ende.

O ja, und des Filme Guckens erst recht nicht.

Lieber drei, vier, fünf Stunden fernsehen und sich seine Weltanschauung auf diese Weise ins Gehirn brennen lassen.

Lieber eine halbe Stunde fromme Dusche am Sonntag mit einigen weichen Liedchen, einer merkwürdig verstörten, auf den Prediger – statt auf die Schrift – ausgerichteten Botschaft.

Meistens wird moralisiert: Du musst nur das und das und das tun, um…

um einen besseren Stand mit Happyface und hoher Erlebnisdichte mit Gott zu erwirken.

Was habe ich diese gesetzlichen Botschaften satt!

 

Was passiert, wenn kein Happyface kommt, sondern

Depression, Vereinzelung, Tod, Ablehnung, Versagen im Beruf?

Was dann?

Dann werden wir auf Gott wütend.

Dann kracht uns unser schönes Kartenhaus auf den Kopf.

Prost auf den praktischen Christen!

 

Handeln ist alles. Orthopraxie – Entschuldigung, rechtes Handeln – zählt, sonst nichts.

Irrtum: Wer sein Handeln nicht ständig an Gottes Massstab ausrichtet, verirrt sich in seinem Handeln!

Da kannst du dein ganzes Leben praktisch bleiben.

Man kann immer rennen – in die falsche Richtung!

 

Aufs Leben kommt es an.

So, so.

Dann schauen wir doch einmal unser Leben an.

Unsere bürgerlichen Werte: Ich will meine Ruhe.

Und das Geld soll sich jährlich vermehren.

Also ich meine: Wenn ich auf mein Leben blicke, dann endet das regelmässig in einem Sündenbekenntnis.

 

Wir sind doch Jünger!

Ja, das sind wir. Lernende Jesu Christi, Fallende und Aufstehende.

Unser Glaube wirkt keinen anderen Glauben, bewahre.

Gott wirkt Glauben.

Zum Glück hat sich der Allmächtige nicht auf das alt- und neutestamentliche Gottesvolk abgestützt.

Natürlich, er hat es gebraucht.

Zum Beispiel hat er die ersten Christen durch Verfolgung aus Jerusalem hinaus gejagt, sonst wäre das Evangelium wohl nie nach Samarien gekommen.

 

Meine Kinder brauchen dringend eine externe, objektive Orientierung: Gottes Wort.

Ich bin nicht ihr Messias.

Ich bin eine unsichere Orientierungsgrösse.

O ja, ich nehme meine Aufgabe ernst.

Mein Zielbild ist, von seinen Worten zu sprechen, wenn ich aufstehe, unterwegs bin und mich niederlege.

Ich hoffe, dass meine Söhne merken, dass mein Glaube mit meinem ganzen Tagesablauf zusammen hängt:

Ohne IHN würde ich nicht

Teilzeit arbeiten

die Kinder selbst unterrichten

meine Morgenstruktur bis zum Eintreffen am Arbeitsplatz sorgfältig planen

meine Ernährung regulieren

meinen Medienkonsum genau überlegen

täglich über der Charakterentwicklung meiner Söhne hirnen

um Andachtszeiten kämpfen

mit meiner Frau ein oder mehrere Stunden austauschen.

 

Wie will ich beurteilen, wie ich

mit meiner Frau umgehen

meine Söhne erziehen

meinen Beruf ausüben

meinen Pflichten als Staatsbürger nachkommen

soll,

wenn ich nicht täglich über Gottes Wort ringe

und seinen moralischen Willen (sein Gesetz) zu erkennen trachte?

 

Auf die Beziehung komme es an.

Ja, aber wie definiert die Bibel diese Beziehung?

Wer mich liebt, sagt der Apostel der Liebe, wird meine Gebote halten!

Wer die Beziehung gegen den Geber des Wortes ausspielt,

ist gesetz-los.

 

Wir impfen unseren Kindern ein: „Es muss für mich gefühlsmässig stimmen.“

Aha. Dann sind Gefühle der Massstab für das geistliche Leben.

Das also ist ein Hauptdogma.

Neben einer Einschärfung: Es muss praktisch sein, Denken nur in Ausnahmefällen erlaubt.

 

Der amerikanische Sportseelsorger und Kirchenhistoriker Ahsley Null sagte: „Unsere Gemeinden sind so katholisch wie die Kirche vor der Reformation.“

Ich stimme zu.

Herr, erlöse uns von dem Bösen.

 

Euer denkender

Hanniel