D. A. Carson. Stolpersteine der Schriftauslegung. Bethanien: Augustdorf, 2007. 158 Seiten. Euro 4,90. Hier geht es zu einer Leseprobe.
Das Buch ist ein ausgezeichneter Leitfaden. Ich habe eine Anzahl Beispiele zusammengetragen.
Fehlschlüsse bei Wortstudien
Beschreibung | Beispiel |
Wortwurzel: Worte dürfen nicht mit allzuviel etymologischem Gepäck überfrachtet werden | Apostel: Der Wortgebrauch legt nahe, dass gewöhnlich eher ein besonderer Repräsentant oder Bote gemeint ist als jemand, der ausgesandt ist. |
Semantischer Anachronismus: Gebrauch eines Wortes in frühere Literatur zurück-projiziert | Dachte Paulus an Dynamit, als er dieses Wort schrieb (Röm 1,16)? |
Veraltete Wortbedeutungen: Worte, die weiter benutzt werden, aber ihre Bedeutung verändert haben | Märtyrer: 1. Stufe = jemand, der als Zeuge vor Gericht oder aussergerichtlich aussagt; 5. Stufe: jemand, der für etwas stirbt |
Unbekannte/unwahrscheinliche Bedeutungen | „Haupt“ – Haupt eines Flusses ist die Quelle; dabei gibt es ausreichende Beweise, dass es für Autorität steht |
Nachlässige eingesetzte Hintergrundinformationen | Joh 3,5 aus Wasser und Geist – Deutungen sakramentalistisch, methaphorisch (Wort Gottes), Fruchtwasser, männlicher Same; dabei bezieht es sich auf das zweifache Werk des Geistes: reinigen und dem Menschen Gottes Natur mitteilen |
Verbal-Parallelomanie | Bultmann – Johannesprolog mit mandäischer Literatur vergleichen |
Verbindung Sprache/Mentalität | Etwas wie ein Neutrum gibt es im Hebräischen nicht, denn für den Semiten ist alles lebendig. |
Termini technici: ein Wort habe immer eine bestimmte technische Bedeutung | Apokalypse = Offenbarung von zuvor Unbekanntem -> Phil 3,15 |
Verwechslung Synoymität/Äquivalenz | Phil 2,6-11 Parallelismus der Verszeilen; semantische Überschneidung ist nur in bestimmten Kontext nötig; Joh 21,15-17 agapao/phileo – weiden/hüten |
tendenziöse Auswahl von Belegstellen | „erkennen“ ist grundsätzlich experimenteller Art im griech. Denken – andere Aussagen (z. B. Joh 13,19; 17,21) unterschlagen |
unberechtigter semantischer Gegensatz | „Haupt“ – keine Autorität, die das Recht hat, zu kontrollieren und Gehorsam zu verlangen |
Einschränkungen des Bedeutungsfeldes | Bedeutungen ausschliessen, unter denen die richtige sein könnte; „sein“ – Identität, Eigenschaft, Ursache, Ähnlichkeit, Erfüllung. Mt 26,26 nicht nur Identität! |
Erweitertes Bedeutungsfeld | 'ekklesia' mit alle Bedeutungen versehen, obwohl an der Stelle die universelle Gemeinde gemeint ist |
Semitischer Hintergrund des NT | Bedeutungen grech. Wort dadurch ableiten, dass die entsprechenden hebr. Worte untersucht werden |
Charakteristische Merkmale einer Schriftengruppe | Rechtfertigung bei Paulus -> dasselbe Wort meint bei Mt „gerechter Lebenswandel einer Person“ |
Verbindung von Sinn und Bezug | ein Wort hat eine Grundbedeutung; Sinn und Bezug müssen im Gegenteil voneinander unterschieden werden |
Grammatikalische Fehlschlüsse
- Wortstudien werfen so viele Fehlschlüsse auf, weil die meisten Pastoren gut mit Material ausgestattet sind, um diese Fehlschlüsse zu begehen – aber nicht gut genug, um bestimmte grammatikalische Fehler zu vermeiden.
- Sprachen verschleissen im Lauf der Zeit: Die Syntax wird unstrukturierter, die Zahl der Ausnahmen steigt, die Morphologie wird einfacher etc.
- Die grundlegende Bedeutung griechischer Zeitformen ist der Aspekt: Er gibt wieder, wie der Verfasser eine Handlung darstellen will.
- Aorist: Wie ein Punkt in der Geometrie einen Ort ohne Grösse beschreibt, ist der Begriff „punktuelle Handlung“ für viele Ausleger ein Stolperstein. Beispiel: „Alle haben gesündigt.“ (Römer 5,12) – ist es eine ein für allemal geschehene Handlung, als Adam sündigte?
- Ein Wort ist nicht unendlich dehnbar, sondern beinhaltet einen gewissen Bedeutungsrahmen, der durch den Kontext eingegrenzt wird.
- Auf dem Gebiet der Grammatik muss noch viel erarbeitet werden: Systematische Unterschiede müssen im Spannungsfeld zwischen Semantik (Morphologie) und Pragmatik (Kontext) herausgearbeitet werden.
- Es ist ausserordentlich schwierig, im Griechischen den bestimmten Artikel erschöpfend zu klassifizieren. Vermutung: Dies wurde mehr durch das Sprachgefühl des des Sprechers oder Schreibers bestimmt als durch eindeutige Regeln.
Logische Fehlschlüsse
Definition: Analyse und Bewertung der Art und Weise, wie man Belege benutzt, um richtige Schlüsse herzuleiten.
Beschreibung | Beispiel |
Falsche Alternativen: Trennende Formulierungen wie „nicht dies, sondern das“ | Hos 6,6 – Stilmittel, das die Leser schockieren soll |
Ignorieren von Unterschieden | Frauen darf man das Predigen, Lehren und Austeilen des Abendmahl nur dann verbieten, wenn man nachweisen kann, dass es in Christus doch Mann und Frau gibt, dass in den letzten Tagen die „Söhne“ weissagen werden, während die Töchter in Stillschweigen verharren. |
Tendenziöse Beweisführung: Je emotionaler das Thema, desto eher ist man versucht, nur einen Teil der Belege auszuwählen | 1. Kor 14,33-36 Frauen müssen in der Gemeinde immer schweigen (ohne 1Kor 11,2-15 zu erwähnen) |
Falsche logische Schlüsse: gültige logische Schlüsse, deren Folgerung dennoch falsch ist, weil mindestens eine Prämisse ungültig | 1Tim 3,11 bezieht sich auf weibliche Diakone und zwei der in Apg 6,1-6 erwählten Diakone reden öffentlich; Schluss: Öffentlich reden und taufen könnten vermutlich zu den Aufgaben weiblicher Diakone gehören.1Jo 2,22 + 4,2 ist als Prüfstein für die Bekämpfung der Gnosis in ihrer Frühform notwendig und auch hinlänglich, für andere Fragen jedoch nicht! |
Unkehrschlüsse: Der Umkehrschluss kann wahr sein, auf keinen Fall ist er jemals wahr, weil er ein Umkehrschluss ist. | 2Kor 13,5 Calvin: Leute, die an ihrer Gemeinschaft mit Christo überhaupt noch zweifeln können, sind untüchtig, d. h. verworfen |
Vermengung: eigene Erfahrung und Deutung der Wirklichkeit liefern Interpretationsrahmen | Glückselig, die ihr Bewusstsein reinigen, denn sie werden erkennen, dass sie Gott sind. (Mt 5,8 pantheistisch) |
Falsche Fragestellung: Wahl zwischen zwei Antworten, deren Voraussetzungen falsch sind | Entrückung vor oder nach der Drangsal anhand 1Thess 4,13-18 |
Emotionale Appelle als Ersatz für Wahrheit | Lawrence O. Richards „Dienerschaftsmodell“ des Mannes -> drängt in eine Richtung |
Verallgemeinerung, Überdehnung | Mk 10,17-27 als die Methode zur Evangelisation |
Assoziative Sprünge: Ein Text ohne Kontext wird zum Vorwand für einen Beweistext. | Phil 4,13 „alles vermag ich“ |
Berufung auf falsche Informationen | |
Schlüsse, die aus den dargelegten Beweisen und Argumenten nicht folgen | 1 Jo 4,8 – die einzige Möglichkeit, Gott zu erkennen, besteht in einer liebevollen Beziehung |
Argument des Gegners nur darlegen, nicht widerlegen | Auslegung zu 1Ko 11 abgetan mit „das ist nicht möglich“ |
Mehrdeutige Argumentation | Texte der ÖRK: verschiedene Gruppen würden jeden Satz, ja jeden Ausdruck unterschreiben – aber unterschiedlich verstehen! |
unangebrachte Analogien | |
„ganz offensichtlich“ – ohne Widerlegung | |
Berufung auf Autoritäten |