Kolumne: Was die Flüchtlingswelle mit der Erziehung unserer Kinder zu tun hat

Eine Flüchtlingswelle erreicht unsere Länder. Es wird viel darüber diskutiert, wie wir damit umgehen sollen. Politisch, humanitär, als Christen, als Westeuropäer. Darum geht es in diesem Beitrag nicht. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, was dies für uns und unsere Kinder bedeutet – und für unsere Bemühungen, die nächste Generation fürs Leben zuzurüsten.

Mit welchem Bild im Hinterkopf bereiten wir sie auf die Welt vor, in der sie einst auf eigenen Beinen bestehen sollen? Dabei geht es mir nicht in erster Linie um bewusste Handlungen, sondern um die übergeordneten Botschaften während ihrer Zeit des Aufwachsens bei uns. Aus meiner Sicht ergeht im Grundsatz eine Doppelbotschaft an sie. Wir Schweizer geben unsere Kinder früh ab, manche schon nach wenigen Monaten. Dadurch geben wir ihnen zu verstehen: Ihr Kinder seid ein wichtiges Projekt. Doch ihr seid nur eines in unserem Streben nach persönlicher Erfüllung. Dieselben Kinder, die schon während ihrer Primarschulzeit inhaltlich fast gänzlich auf sich alleine gestellt sind, hängen nicht selten noch Mitte Zwanzig finanziell am Tropf der Eltern. Handy, Ausgang und Urlaube werden ohne Murren finanziert. Die Adoleszenz wird bis weit in die Dreissiger und bisweilen sogar Vierziger Jahre verlängert. Ich spreche mit Anfangs- bis Mittdreissigern, die von verbindlicher Festlegung auf einen Partner und Kindern sprechen, als liege dies noch in weiter Ferne. Also: Vermeintlich frühe Loslösung, faktisch überlange Abhängigkeit.

Doch zurück in die Kindheit. In der Kleinfamilie erlebt die Mehrzahl der Kinder: Materiell ist alles vorhanden. Lebensmittel sind im Überfluss da. Markenkleider sind eine Selbstverständlichkeit. Hotel Papa und Mama bedeutet ein hohes Dienstleistungslevel: Die Wäsche wird gewaschen, der Tisch gedeckt, die Spielzeugwünsche werden erfüllt. Mutter oder Vater sind es sich gewohnt, hinter den Kindern her aufzuräumen. Als Ablenkung können sich die Kinder ins weite Meer der sozialen Medien begeben und Stunden, Tage, Wochen, Monate und Jahre darin zubringen. Der Aufbau der Parallelwelt wird nur durch Schule und Freizeitunternehmen unterbrochen.

Ich stelle ein Flüchtlingskind daneben. Es hat materiell alles verloren, mit hoher Wahrscheinlichkeit Schlimmes erlebt. Es spricht eine andere Sprache. Es hat gelernt sich durchzuschlagen. Es hat schon viele Schläge einstecken müssen, psychisch und vielleicht auch physisch. Es ist sich gewöhnt, auf harter Unterlage zu schlafen. In lärmigen Räumen abzutauchen. Es hat über eine lange Zeit guter Nahrung entbehren müssen. Es musste sich in Schlangen stellen, sich wehren, um zum Nötigsten zu kommen. Es nimmt, was kommt. 

Ich sage nicht, dass unsere Kinder über die ganze Bandbreite verwöhnt sind. Ein Teil von ihnen mag wohl überbehütet sein. Sie haben sich daran gewöhnt, dass sich das Leben stets um seine eigenen Bedürfnisse drehen muss. Inhaltlich ist es selten zur Disziplin, zum Verzicht und zur fleissigen Arbeit angeleitet worden. Was keinen Spass macht, lässt man liegen. Ich frage mich ernsthaft, welche Auswirkungen dies auf die nächsten Generationen zeitigen wird. Natürlich: Ein Teil der Kinder wird sich verändernden Bedingungen anpassen können. Ein anderer Teil wird sich auch in Zukunft – dank dem Wohlstand der vorhergehenden Generationen – jeden gewünschten Luxus leisten können. Und der Rest? Dies ist von vielen Faktoren abhängig.

Was bedeutet das für heute und morgen? Wir dürfen unseren Kindern nicht alle Steine aus dem Weg räumen. Es darf sich nicht ständig in die nächste Ablenkung flüchten können. Wir tun gut daran, die Veranstaltungsdichte zu hinterfragen und gezielt zurückzustecken. Wahrscheinlich müssen wir auf einen Teil unseres Luxus verzichten: Auf ein zusätzliches Zimmer, eine neue Wohnungseinrichtung, auf Fastfood. Wir müssen einen anderen Umgang mit den sozialen Medien finden, dass sie nicht zu Fluchtorten werden können. Die nächste Generation sollte selber waschen und kochen können. Sie sollte wieder wissen, wie man einen Garten bewirtschaftet. Sie sollte in lärmigen Räumen schlafen können. Ich weiss schon: Das hört sich nach Abhärtung an. Richtig. 

Es ist mir bewusst geworden: Meine Generation ist selbst gefordert, umzudenken. Die Wohlstandsstrategie ist ein Auslaufmodell. Wir brauchen eine neue. Für das Wohl der nächsten Generation.