Standpunkt: Meine Rolle als Vater von heranwachsenden Söhnen

Vor einigen Tagen war ich mit meinen beiden Jüngsten im Zoo. Ich beobachtete, wie Eltern ihre Kleinkinder pausenlos bei kleinen Entscheidungen fragten, welches für sie die angenehmere Option war. Es war gegen Abend, die Kinder waren quengelig. Die Eltern liessen sich anschreien, kneifen, bekamen Fäuste und Tritte zu spüren. Und was taten sie? Sie nahmen die Kinder in den Arm, hoben sie hoch, trugen sie bis zum Ausgang, steckten ihnen die nächste Süssigkeit oder den Schnuller in den Mund. Sie schoben sie in den bereit stehenden Wagen oder stiegen mit ihnen in den Bus.

Ich merkte, dass die Kleinkinderzeit bei mir abgelaufen ist. Ich habe Hunderte von Lernerlebnissen aus dieser ersten Zeit geschildert. Ich stecke in einem neuen Wegabschnitt. Mein Jüngster hat sein erstes Kindergartenjahr angetreten. Wir haben in den zwei ersten Monaten intensiv an den beiden Charaktereigenschaften Aufmerksamkeit und Konzentration gearbeitet. Er musste sich unzählige Male überwinden, kleine Aufträge ausführen und an einer Aufgabe dranbleiben. Ich war erstaunt und erfreut zu sehen, wie der Jüngste sich innerhalb dieser Wochen veränderte. Wo er am Anfang ein langes Gesicht machte, rannte er nach dieser Gewöhnung freudig hin, um die Aufgabe anzupacken. Der Älteste biegt in die Kurve ein, seinen geistigen, geistlichen und körperlichen Weg zum Mann in Angriff zu nehmen.

In dieser Veränderung merke ich, wie sich mir zusehends ein Anliegen in den Vordergrund drängt. Ich bete täglich dafür, dass sie in ihre Berufung hineinwachsen können. Das bedeutet: Gott ruft jeden Einzelnen. Er hat einen Platz für sie auf seiner grossen Bühne in einem Abschnitt seiner Geschichte. Dafür hat er ihn mit bestimmten Fähigkeiten ausgerüstet, in eine Familie, in eine Zeit und in eine Umgebung hineingestellt. Es gilt, diesen Platz zu entdecken und darin zu wachsen.

Ebenso deutlich wird mir vor Augen geführt, dass es viele Möglichkeiten gibt, dieser Aufgabe auszuweichen. Ich bin mir wohl bewusst, dass Gott mit vielen Menschen (auch mit mir) bedeutende Umwege einschlagen muss. Das Volk Israel wäre im Nu im Land Kanaan gewesen. Doch Gott führte sie absichtlich einen anderen Weg, weil er um die Schwierigkeiten des direkten Zugangs wusste (2. Mose 13,17). Das ist aber nur die eine Seite. Das Volk selbst handelte sich durch Ungehorsam eine 40-fache Verlängerung ein (4. Mose 13+14)!

Eine sichere Möglichkeit, das Leben in der Endlosschlaufe zu verbringen, beginnt damit, einen jungen Menschen einfach sich selbst zu überlassen. Ich überlasse ihn dem endlosen Meer der sozialen Netze, der unzähligen Zerstreuungen der Freizeitgesellschaft (inkl. frommer Variationen). Mit „lassen“ meine ich nicht etwa, dass ich dem Kind keinen Freiraum lassen möchte. Im Gegenteil. Ich meine jedoch, dass ich als Vater viele Extrameilen gehen muss, um meine Söhne aus ihrer Komfortzone zu holen. Wie einfach wäre es oft, sie sich selbst zu überlassen – etwa frühmorgens oder am fortgeschrittenen Abend, wenn ich meine Ruhe haben möchte. Sie gewöhnen es sich an, vor kleinen Schwierigkeiten zu resignieren, im Bild gesprochen nicht nach draussen zu gehen, wenn es regnet.

Anders herum bedeutet das: Es beginnt damit, dass ich als Vater mich selbst darin übe, treu im Kleinen zu sein. Dafür muss ich mich selbst immer wieder am Zielbild auszurichten. Letzthin sprachen wir auf einem zweistündigen Sonntagspaziergang darüber, wie ein Mensch sich Ziele setzen kann. Und was ihn daran hindert, diese Ziele dann auch wirklich zu verfolgen. Es gibt Momente, in denen Heranwachsende sehr offen sind. Ich bitte um Weisheit, diese Momente beim Schopf packen zu können und ihnen mit Leidenschaft und Begeisterung zu erklären, was es bedeutet als Mann vor Gott zu leben in den Gaben, der er ihm gegeben hat. Ich frage immer mal wieder danach, was ihre Träume und Ideen sind. Die Antworten sind erstaunlich und berührend.

Dann gilt es, diese Ziele in überschaubare Etappen aufzuteilen. Jede Etappe wird mit einer Zielsetzung versehen. Ebenso gehört ein realistischer Massnahmenplan dazu. Wohlgemerkt: Ich kann kein Zielbild für meinen Sohn aufstellen, ich kann ihn nur durch Fragen bei der Entdeckung darin unterstützen. Meine Jungs müssen jetzt lernen, sich anspornende Zielsetzungen zu überlegen, dafür zu beten, sie zu formulieren und sich dafür einen realistischen Zeitplan aufzustellen. Das hört sich nach der Aufgabe eines Trainers an. Tatsächlich gibt es viele Parallelen. Ich gehe bei jedem Wetter ins Training, sporne sie an, hole sie aus der Lethargie, verordne ihnen Ruhepausen, bespreche schwierige Etappen und freue mich mit ihnen über das Erreichen von Teilzielen.

Etwas vom Wichtigsten habe ich ausgelassen: Es gilt auch Rückschläge in Kauf zu nehmen. Diese Lektionen sind die wichtigsten. Wohin gehe ich mit Trauer, Enttäuschung und Schmerz um? Was sind meine Strategien, um mich abzulenken und zu betäuben? Vertraue ich wirklich auf Christus, so dass er meine Scham und meine Gefühle des Versagens wegnehmen kann? Dass er mir in meinem Perfektionismus, meinem Stolz und meiner Selbstgerechtigkeit begegnen kann? Rückschläge sind Züchtigungen. Sie sind im Moment hart, zuweilen sogar sehr hart einzustecken. Doch sie haben eine fruchtbare Langzeitwirkung. So steht es in Hebräer 12.

Wieviele Männer sehe ich an ihrer Berufung vorbeileben! Als Heranwachsende ergeben sie sich einem heidnischen Lebensstil (Arbeit als lästige Pflicht, Betäubung des Sinnvakuums, Ausleben der Begierden). Später dienen sportliche Aktivitäten (gegen die ich gar nichts habe, im Gegenteil) als Aufpeitscher für einen langweiligen Alltag. Extravaganter Urlaub und Zuschauersport lässt sie immer mehr in die Zuschauerrolle des Lebens hineinwachsen. Der Weg an der Begabung und Berufung vorbei ist oft mit Faulheit gepflastert. Os Guinness fragt in seinem exzellenten Buch über Berufung: Willst du über Erfolg hinaus zur Bedeutung gelangen? Nicht nur einen „easy job“ zu haben und viel Geld zu verdienen? Willst du nicht wahllos mal dies, mal das tun? Mal aus der nächsten Ablenkung herauskommen? Willst du nicht ausserhalb deiner Verantwortung Projekte zur eigenen Verwirklichung anreissen? Os Guinness' Refrain hallt in mir nach: Dann höre auf den Ruf von Jesus von Nazareth und folge ihm nach.

Während ich eben diese Worte geschrieben habe, bringt mir mein Neunjähriger seinen Text zu meiner Frühstücks-Motivationsansprache. „Ich höre viele Jugendliche reden, dass sie viel Geld haben wollen und dass das Leben chillig sein soll.“ Genau. Dies ist der Tod-sichere Weg vorbei an der Berufung. Gestern habe ich von Nehemia und dem Mauerbau Jerusalems gelesen. Neidische Feinde wollten das Projekt behindern. Die Reaktion Nehemias beeindruckte mich: Zuerst floh er ins Gebet. Er wusste, woher die Kraft kommt, um bestehen zu können. Gleichzeitig baute er Tag und Nacht weiter. Dazu kam noch eine Zusatzlast: Jeder Arbeiter musste noch eine Waffe in seiner Hand halten. Wieder sucht Nehemia das Gespräch mit Gott. Nachzulesen in Nehemia 4. Das beschreibt gut meine Lage in den kommenden Jahren: Bete und kämpfe!