Literatur – für was braucht es das?
Wir leben in einem technologischen Zeitalter. Die Zeit der schönen Literatur gehört der Vergangenheit an. Mit diesem Einwand steigt Markos, Professor für englische Literatur an der Houston Baptist University, ein. Natürlich wird er nicht im Raum stehen gelassen: Der ständige Fokus auf unmittelbare Befriedigung und zukünftigen Fortschritt drohe uns von der Vergangenheit abzuschneiden. Am besten solle man einen erfahrenen Chirurgen, Chemiker oder Investment Banker diese Frage stellen. Solche Menschen würden uns bestätigen, wie lebenswichtig das Geistesleben und gerade die Auseinandersetzung mit Ideen und Bildern ausserhalb der eigenen Spezialisierung sind.
Wenn wir uns einmal auf die Vergangenheit einlassen, dann können Figuren zum Leben erwachen. Sie werden zu Mitgliedern unserer Community, ja zu alten Freunden und Sparring Partnern. Markos gerät ins Schwärmen: Literatur und speziell Poesie stellen die entscheidenden Fragen, uns uns selbst zu erklären. Er will den Leser inspirieren, eher ästhetisch als wissenschaftlich, imaginativ als rational, intuitiv als logisch zu denken. Diejenigen, die an die Bibel als das inspirierte Wort Gottes glauben, sieht er diesbezüglich im Vorteil: Sie sind bestens ausgerüstet, das Potenzial von Poesie, ob christlich oder säkular, zu erfassen. Bevor ich in den Teil über Vermass und poetische Formen einstieg, wagte ich einen Blick ins Literaturverzeichnis
Eine mögliche Fortsetzung dieser Lektüre…
könnte sein:
- The Norton Anthology of Western Literature I and II (formerly known as The Norton Anthology of World Masterpieces I and II) and The Norton Anthology of British Literature I and II (New York: Norton). Both collections are available in numerous editions; I personally prefer the older editions since they are less compromised by political correctness and multiculturalism).
- Peter J. Leithart’s Heroes of the City of Man: A Christian Guide to Select Ancient Literature (Moscow, ID: Canon Press, 1999),
- Lewis Agonistes: How C. S. Lewis Can Train Us to Wrestle with the Modern and Postmodern World (Nashville: Broadman, 2003).
- Leland Ryken’s How to Read the Bible as Literature (Grand Rapids, MI: Zondervan, 1985).
Vom Meeting zum Versmass
Den nächsten Teil des Buches las ich im Zug nach einer geschäftlichen Sitzung. Die beste Poesie kombiniert mathematische Logik mit den sanften Wellen eines Wiegenlieds. Louis mischt diesem Abschnitt eine Grundsatzkritik bei. Die modernen Frei-Vers-Poeten werden mit dem Vorwurf bedacht, dass ihnen Disziplin für das Versmass fehlte und sie sich einer übermässigen Selbstbetrachtung und –beweihräucherung (eigener Begriff) hingäben. Markos betrachtet die Abwendung vom traditionellen Versmass nach dem Ersten Weltkrieg als tiefgehenden Einschnitt für die schreibenden Künste. Damit gibt er sich als Gegner des ästhetischen Relativismus zu erkennen. Die Verwendung von ästhetischen Formen widerspiegle die kosmische Ordnung und Balance. Poesie, die diesen Namen wirklich verdiene, sei „inkarnatorisch“. Unsere Welt ist zwar gefallen, doch mit den durch Mass geordneten Versen widerspiegelten wir die gute Schöpfung Gottes, der alles in seiner Ordnung geschaffen habe. Diese Kritik an der zeitgenössischen Lässigkeit gegenüber Versmass hat mich beeindruckt. „Die moderne Welt hat in mancherlei Hinsicht die Wahrnehmung und den Glauben an eine Welt der Ordnung, Schönheit und der Absicht (purpose) aufgegeben.“ Darüber lässt sich weiter nachdenken und diskutieren!
Ein Gang durch die Literaturgeschichte
Markos vergleicht Rhythmus und Reim mit dem Skelett eines Menschen, Worte und Bilder mit Eingeweide, Nerven und Blut. Er schafft es auf den gut 140 Seiten, durch die Geschichte der Literatur zu eilen: Griechen, drei Römer zur Zeit von Augustus, Mittelalter, Renaissance, England im 17. Jh. sowie USA/GB im 19./20. Jh. Die griechische Literatur betrachtet er als Basis jeder humanistischen (liberal arts) Bildung. Hier sinde einige "Happen":
- Plato sah Poesie als doppelte Imitation und damit entfernt von der Realität (den Formen) an; deshalb betrachtete er sie als unzuverlässige Quelle für die Wahrheitssuche.
- Aristoteles war im Gegenteil davon überzeugt, dass die mimesis uns näher an das Ideal bringe, insbesondere die Tragödie. Inmitten des Vergänglichen bringt sie uns in die Nähe des Wahren und Ewigen.
- Augustinus: Durch die Teilnahme an und die Meditation über das Wort (die Bibel) und das Sakrament (Christus) bewegt sich der Gläubige nach oben in Richtung Wahrheit. Platons Formen schrieb er dem Wirken von Gottes Geist zu.
- Die Tradition des Mittelalters geht über Augustinus zu von Aquin und Dante. Diese gingen davon aus, dass der Gott der Bibel grosse heidnische Philosophen und Poeten wie Plato und Virgil benützte, um die antike Welt auf das Kommen von Christus vorzubereiten.
Interessant ist Markos' Gegenüberstellung der Neuen Kritik und der postmodernen Literaturkritik: Die Aufgabe der Neuen Kritik war es nicht einen Bedeutungskern oder eine didaktische Botschaft zu extrahieren, sondern das Gedicht so zu behandeln, wie es daherkommt: mit all seinen Ironien, Unklarheiten und inneren Spannungen. Die postmodernen Theorien seit den 1960er Jahren bezeichnet Markos als "obskur und jargonreich", nur für eine kleine Elite von Insidern zugänglich. Mit ihren multikulturalen, relativistischen Agenden hätten sie sich nicht nur vom grossen Publikum abgeschnitten, sondern von dem Guten, Wahren und Schönen, das im Kanon der Literatur und vom "common sense" bereitliegt. Starke Worte!
Fazit
Der Autor ist überzeugt: Christen, die in die Bibel eintauchen und sich de Gewohnheiten des sorgfältigen Lesens von Gottes Wort angeeignet haben, können die Lektüre von Literatur mit doppeltem Vorteil angehen. Nicht nur erkennen sie die biblischen Anspielungen in vielen klassischen Werken wie denen von Chaucer, Spenser, Shakespeare, Milton, Wordsworth oder Tennyson. Sie können das Gelesene zudem begrifflich in ein Ganzes einbetten: In Schöpfung, Fall, Erlösung, Rechtfertigung, Wiedergeburt, Offenbarung. Dieses Buch regt an Poesie zu lesen. Dazu listet Markos einige hilfreiche Begleitfragen auf:
- Was ist die letzte Quelle von Poesie? Kommt sie aus der Natur, von Gott, von den Emotionen? Bringt sie uns der Wahrheit näher oder entfernt sie uns von ihr?
- Was geht verloren, wenn ein Gedicht in freien Versen statt im rhythmischem Schema verfasst ist?
- Denkst du, dass bildliche Sprache die Posie klarer macht oder zur Verwirrung beiträgt?
- Hast du schon einmal die Katharsis (Reinigung) während dem Ansehen eines Theaterstücks oder dem Lesen eines Werks erlebt?
- Weshalb, denkst du, wird Shakespeare als einer der grössten Poeten aller Zeiten angesehen?
- Identifizierst du dich eher mit einem romantischen Autor oder mit einem klassischen?
- Sind grosse Poeten eher wie Propheten oder wie Handwerker?